Jedes Jahr den Jackpot

Der Vorstandsvorsitzende der Volkswagen AG Martin Winterkorn erhielt für 2011 Gesamtbezüge von 17,4 Millionen €. Und auch die übrigen Mitglieder des VW-Vorstandes haben mit einer runden Verdoppelung ihrer Bezüge 2011 zwischen 7,2 und 8,1 Millionen € eingestrichen und liegen damit sogar deutlich über dem Durchschnitt von Vorstandsvorsitzenden der übrigen DAX-Unternehmen. Winterkorns Bezüge sind gar um 63 % angestiegen und lagen doppelt so hoch wie der am zweitbesten bezahlte deutsche Vorstandsvorsitzende Dieter Zetsche von Daimler. Der gesamte VW-Vorstand wurde 2011 mit über 70 Millionen € entlohnt.

Da stellt sich für viele Bundesbürger die Frage, ob diesem Betrag noch eine entsprechende Leistung zugeordnet werden kann. Ist diese Bezahlung tatsächlich gerecht vor dem Hintergrund des Gehaltsgefüges in unserer Gesellschaft? Man muss ja nicht unbedingt den Vergleich zu den allerniedrigsten Löhnen zu suchen. Ziehen wir stattdessen einmal das Einkommen eines begehrten Facharbeiters von etwa 50.000 € pro Jahr heran, dann ergibt sich ein Verhältnis von 1 : 350 zum Einkommen Winterkorns und circa 1 : 150 zum Einkommen der übrigen VW-Vorstandsmitglieder. Vergleicht man Winterkorns Bezüge mit dem bereits recht hohen Gehalt eines studierten Angestellten im mittleren bis oberen Management, der zwischen 100.000 € und 150.000 € verdient, kommt Winterkorn immer noch auf das rund 150-fache.

Im Selbstverständnis des VW-Vorstands als diejenigen, welche die Arbeit (-splätze) vergeben, als sogenannte „Arbeitgeber“, scheint sich ein solch hohes Gehalt allein dadurch zu rechtfertigen, dass man schließlich mit dem Unternehmenserfolg begehrte Arbeitsplätze schaffe. Aus der Perspektive der Arbeitnehmer, die ja gewiss zum Erfolg beigetragen haben, könnte sich der Verdacht aufdrängen, dass ein paar wenige Herren in der Chefetage (Damen dürfen dort bekanntlich nur in Ausnahmefällen oder neuerdings per Quotendruck rein) sich von tausenden zum Teil hochqualifizierten Arbeitnehmern ein üppiges Gehalt erwirtschaften lassen, und zwar ohne Haupteigentümer zu sein. Aus dieser Perspektive wird es sie wohl nur wenig beruhigen, dass Winterkorn allen Angestellten eine Einmalzahlung von 7.500 € spendiert. Wenn jeder im Unternehmen ohne Ansehen seiner Stellung und seines Vorjahresgehalts 7.500 € bekommt – was an sich eine schöne Geste ist -, warum sollte sich dann nicht auch der Vorstand auf diesen Bonus beschränken? Das wäre ein großes Signal für den vielbeschworenen Mannschaftsgeist. Doch der Teamgedanke macht vor den Pforten der Vorstandsbüro halt.

Laut einer FORSA-Umfrage ist nur gut ein Viertel (26 %) der Bevölkerung mit den Millioneneinkommen von Topangestellten großer Konzerne grundsätzlich einverstanden. Für fast alle Bundesbürger sind Jahresbezüge, die auch nur annähernd an die hier diskutierten heran kommen, außer per Lottogewinn, ein Leben lang unerreichbar. Wenn man jung ist, träumt man häufig noch davon und überschätzt seine tatsächlichen Chancen mitunter maßlos. Es wundert mich deshalb nicht, dass laut FORSA die Zustimmung mit steigendem Alter stetig sinkt.

Die Unerreichbarkeit für den Einzelnen ist zwar kein Kriterium für die Leistungsgerechtigkeit. Sie kann aber eines für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und den sozialen Frieden sein. Man sollte deshalb diese Dimension nicht nur aus ethischen Gründen stets im Auge behalten, sondern auch dann, wenn man auf Nachhaltigkeit Wert legt. Der Rückkoppelungseffekt auf den Erfolg eines großen Konzerns wie die Volkswagen AG sollte nicht unterschätzt werden.

Aber selbst wenn man die Millionengehälter nur rein unter dem Aspekt der Leistungsgerechtigkeit betrachtet, so bleibt eine bittere Wahrheit: Es gibt keine Methode, mit der wir berechnen können, welches Gehalt der Leistung eines Vorstandvorsitzenden im Jahr XY angemessen ist, wie viel er im wahrsten Sinne des Wortes „verdient“ hat. Das Wort „angemessen“ kann sich im Grunde nur auf ethische Gebote beziehen. Doch die begünstigten Top-Manager und deren Anhängergemeinde verweisen an dieser Stelle lieber auf die Gebote des Marktes. Demnach entspreche ein Einkommen genau dann einer Leistung, wenn es sich durch Angebot und Nachfrage frei einstelle – so wie bei allen Marktpreisen. Als Volkswirt und leidenschaftlicher Anhänger von offenen Märkten und freiem Wettbewerb stimme ich diesem Grundsatz freier Preisbildung gerne zu. Doch ich sehe im Falle der Millionengehälter von Topmanagern in Aktiengesellschaften eher das Symptom von Wettbewerbsbeschränkungen als das Ergebnis eines offenen Leistungswettbewerbs.

Selbstverständlich will ich den Vorständen der börsennotierten Aktiengesellschaften nicht absprechen, Führungsqualitäten, Erfahrung und gute Fachkenntnisse zu besitzen. Dafür sollen sie auch mehr verdienen als jeder andere im Unternehmen. Doch wenn der Gehaltsunterschied dem Leistungsunterschied entsprechen soll, wie kann dieser eigentlich ermittelt werden? Eine hohe Beteiligung am Unternehmenserfolg, die zu solch großen Unterschieden in den Bezügen führt, ist noch lange keine leistungsgerechte Bezahlung, die über den Markt ermittelt wurde. Wer vermag schon zu beziffern, wie stark genau der Absatzerfolg auf Entscheidungen und Persönlichkeit der Unternehmensleitung zurückgeht. Das kann man nicht. Das bleibt Spekulation – ex ante wie ex post. Dieser Argumentation stimmen Vorstände im Angestelltenverhältnis leider nur zu, wenn es um Regelungen zur Beteiligung an Verlusten geht. Allein Eigentümerunternehmer tragen auch das Verlustrisiko. Hier haftet der Chef unter Umständen mit seinem gesamten Hab und Gut, und zwar selbst für den Fall, dass er keine Schuld an eventuellen Verlusten trägt. Anders ist das bei angestellten Topmanagern insbesondere von Aktiengesellschaften. Hier gaben allen voran Bankvorstände ein schlechtes Vorbild ab, als sie selbst dann noch große Prämien kassierten, als ihnen ein gründliches Versagen nachgewiesen werden konnte.

 

Letzten Endes ist es das Wesen einer Unternehmung, dass sie als Kollektiv am Markt agiert. Ein guter Vorstandsvorsitzender versteht sich deshalb als Primus inter Pares, als erster unter Gleichen, der Chef eines Teams. Auf die Teamleistung wird bei VW ja auch immer gerne in Sonntagsreden verwiesen. Geht es dann aber um die Verteilung der Beute, tut man so, als sei der Markterfolg hochgradig auf den Vorstand zurückzuführen, während der Rest der Belegschaft letztendlich nur austauschbare Manövriermasse darstelle.

Auch das Argument, es handele sich um eine freie Vertragsgestaltung, es sei deshalb das Ergebnis von Angebot und Nachfrage auf dem Managermarkt, ist bei näherem Hinschauen nicht überzeugend. Die Gehaltsverhandlung führt schließlich der Aufsichtsrat, und entscheidend ist immer die Stimme des Aufsichtsratsvorsitzenden, der wiederum nicht nur die Interessen des Unternehmens, sondern auch seine persönlichen verfolgt. Ein Indiz dafür ist die in Deutschland geradezu übliche Praxis, dass man vom Vorstandsvorsitz als quasi letzte Beförderung direkt in den Aufsichtsratsvorsitz rutscht. Hier wird zu Recht seit Jahren kritisiert, dass in diesem Fall der für eine wirksame Kontrolle notwendige Abstand zur Unternehmensführung fehle. Das könne etwa zur Vertuschung von eigenen alten Fehlern oder der Aufrechterhaltung von Strategien, die man besser ändern sollte, führen. Nicht nur deshalb gehört es in diesen Kreisen – hier stärker, dort schwächer – zum ehernen Verhaltenskodex, dass Loyalität weit mehr als Leistung zählt.

Es ist unter Insidern bekannt, dass sich gewöhnliche Aufsichtsratsmitglieder trotz großzügiger Bezahlung häufig nur geringfügig oder gar nicht einbringen und im Wesentlichen nur abnicken, was der gönnerische Aufsichtsratsvorsitzende vorgibt. Wie könnte man auch sonst mitunter bis zu zehn solcher lukrativen Aufsichtsratsmandate wahrnehmen – eine durchaus übliche Praxis gut vernetzter Akteure. Die geringe Kontrollleistung des Aufsichtsrats bedeutet auch kein Risiko für die Ratsmitglieder. Eine Haftung für ihre Aufsicht ist faktisch ausgeschlossen. Die begehrte Mitgliedschaft für ein solches Gremium wird auf Arbeitgeberseite daher wie ein Privileg, ja wie ein kostbares Geschenk vergeben. Als Gegenleistung wird eiserne Loyalität gegenüber der so genannten „Deutschland AG“ erwartet. Nicht diejenigen, die tatsächlich kritisch und mit dem notwendigen zeitlichen Aufwand und Sachverstand Aufsicht führen könnten, sondern diejenigen, die loyal sind und fest zum inneren Kreis der deutschen Wirtschaftselite gehören, dürfen für ein ordentliches Salär teilnehmen und abnicken.

Schauen wir uns erneut das Beispiel VW an. Dort wird der Konzern schon lange beherrscht von Ferdinand Piech, Enkel von Ferdinand Porsche und Bruder des Schwiegersohns des ersten WV-Generaldirektors und Vorstandsvorsitzenden Heinz Nordhoff. Hier zeigt sich die Geschlossenheit der deutschen Führungselite in Reinform. Sie spricht gewiss nicht für einen stark leistungsorientierten Managermarkt. Nachdem Piech zunächst Karriere bei der VW-Tochter Audi machte und dort Vorstandsvorsitzender wurde, nahm er 1993 den Vorstandsvorsitz von VW ein. Seine erste Amtshandlung damals war die Anheuerung von José Ignacio López, der als Sklaventreiber der Zulieferindustrie in die Branchengeschichte einging. 2002 wechselte Piech dann direkt in den Aufsichtsratsvorsitz von VW, von wo er bis heute alles mit fester Hand regiert. Wer kann da noch an Leistungsgerechtigkeit glauben?

Abschließend noch ein Wort zu Einkommen, Motivation und Verantwortung. Es gilt heute in der Psychologie und der modernen Managementlehre als unstrittig, dass die Höhe des Gehaltes nur in bestimmten Einkommensbereichen und Situationen einen temporären Einfluss auf die Motivation von Menschen hat. Ob jemand eine halbe, zwei, 10 oder 20 Millionen € verdient, spielt für die Leistungsbereitschaft hingegen keine Rolle. Wenn wir den wichtigsten politischen Amtsträgern in unserem Land ein Gehalt zubilligen, das derzeit mit 261.500 € für die Bundeskanzlerin nicht einmal ein 60stel so hoch ist wie das von Winterkorn, kann an dieser Argumentation doch etwas nicht stimmen. Winterkorn selbst scheint die Höhe des Einkommens nicht als ursächlich für seine Leistungsmotivation zu sehen. Er begegnete den Vorwürfen mit dem Argument, dass er nichts für die hohe Summe könne. Die sei zustande gekommen, weil sein Einkommen zu großen Teilen gewinnabhängig sei und das Geschäftsjahr so gut ausgefallen wäre. Man möchte das Wort „zufällig“ hinzufügen. Sollten wir Winterkorns Gehalt dann nicht eher als eine Art Lottogewinn sehen?

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