Özils Eigentor

Leider braucht es immer erst einen Aufreger, bevor man längst notwendige Diskussionen führt. Jetzt haben wir mit dem Fall Özil einen solchen, welcher die Emotionen vieler Bürger beider Seiten in Wallung versetzt. Das hat etwas Gutes, und es hat etwas Schlechtes. Ich beginne mit dem positiven Aspekt.

Gut ist, dass wir anfangen, weniger abstrakt über die Erwartungshaltungen im Integrationsprozess zu diskutieren und offener über Wertschätzung sowie verletzte Gefühle sprechen. Hier offenbaren sich bei vielen Mitbürgern mit türkischem Migrationshintergrund Minderwertigkeitsgefühle, welche ihnen durch Jahrzehnte andauernde Skepsis seitens der Eingeborenen in unserem Lande entstanden sind. Zwar wurden türkischstämmige Einwanderer geduldet, willkommen waren sie aber bestenfalls als Gastarbeiter mit der Aussicht, dass sie nach Erledigung der Arbeit wieder brav heimkehren nach Anatolien. Eine latente Abneigung bis hin zur Diskriminierung durch große Bevölkerungsanteile kann bis heute kaum geleugnet werden. Ob das allerdings gleichzusetzen ist mit dem jetzt häufig zu hörenden Vorwurf des Rassismus´, darf allerdings bezweifelt werden. Womit wir wieder bei Mesut Özil wären, der bekanntlich nach Wochen des Schweigens ebenfalls die Rassismus-Keule geschwungen hat, worauf die Deutschen aufgrund ihrer Geschichte bekanntlich mit Verunsicherung anschlagen. Und damit wären wir auch schon bei den negativen Aspekten.

Gewiss, es gibt Rassisten unter uns. Die gibt es leider überall auf der Welt – übrigens auch in der Türkei. Rassisten sind Menschen, die an die unterschiedlichen Leistungspotenziale und Charaktereigenschaften aufgrund vermeintlich anderer und unveränderlicher Gene eines Volkes glauben. Dieser Aberglaube ist jedoch ganz sicher nicht das Motiv, aus dem heraus Özil kritisiert wurde. Und das gilt vollkommen unabhängig von der Person Reinhard Grindel, Präsident des Deutschen Fußballbundes, und Teammanager Oliver Bierhoff, auch wenn beide keine gute Figur in der Causa Özil machten. Allein die Tatsache, dass die Kritik an Boateng, Khedira, Rüdiger oder Gomez nicht stärker ausfiel als bei den „urdeutschen“ Mannschaftskollegen, widerlegt Özils Vorwurf. Den speziellen Ärger, den Özil auf sich zog – wir erinnern uns – wurde nicht durch die schwachen fußballerischen Leistungen verursacht, sondern durch den bereits vorher stattgefundenen Auftritt mit dem türkischen Despoten Erdogan und seinem Mannschaftskollegen Gündogan. Hier gaben die beiden deutschen Nationalspieler dem türkischen Präsidenten Schützenhilfe im Schicksalswahlkampf der Türkei – mögen sie sich dessen bewusst gewesen sein oder nicht. Nach Özils jüngsten Reaktionen muss man befürchten, dass er das ganz bewusst getan hat. Jedenfalls haben alle deutschen Bürger Grund genug, sauer auf und enttäuscht von ihrem Vorzeige-Integrierten zu sein. Das trifft natürlich auch auf Gündogan zu, der Erdogan sogar „meinen Präsidenten“ nannte. Da fragt man sich natürlich schon, warum er in einem internationalen Wettkampf dann nicht auch konsequenterweise für seine Türkei spielt. Das alles wäre dennoch eine Lappalie, wenn sich die Türkei unter Erdogan nicht so weit von den europäischen Idealen entfernt hätte.

Man mag das alles als überflüssige Streitereien abtun, weil man vielleicht als weltoffener Mensch den sportlichen Wettkampf unter Nationen ohnehin als unzeitgemäß einstuft. Aber gerade wer so denkt, kann Özils PR-Aktion nicht gleichgültig gegenüber stehen. So sehr man sich auch als Weltbürger fühlen mag, es ist nun einmal eine Tatsache, dass die Welt, in der wir leben, unterteilt ist in Nationalstaaten. Und es ist die Idee internationaler Sportveranstaltungen, das daraus resultierende Konkurrenzverhältnis zwischen Nationen spielerisch statt kriegerisch auszuleben. Wer mir bis hierhin folgen kann, wird auch zustimmen, dass jedes Mitglied einer Nationalmannschaft eine ganze Nation mit all ihren Grundwerten vertreten muss. Wer das nicht tut, hat in Wettkämpfen zwischen Nationen logischerweise nichts verloren. Fußballweltmeisterschaften oder Olympische Spiele sind dazu da, dass Sportler ihrer Nation auf friedlichem Weg zu Ruhm und Ehre zu verhelfen. Als Deutscher darf man demnach stolz sein, wenn Landsleute unter unseren freiheitlichen und rechtsstaatlichen Institutionen Höchstleitungen hervorbringen. So pathetisch es klingt, so einfach ist es.

Schaut man sich nun an, was Özil getan hat, indem er sich in Wahlkampfzeiten mit Erdogan, der seit Jahren im heftigen Konflikt mit deutschen Grundwerten steht, ablichten lässt, dann kann man nur sagen, Özil erfüllt seine ihm anvertraute Rolle als deutscher Fußballnationalspieler nicht. Vielmehr hat er sich durch seinen Auftritt mit Erdogan und Gündogan disqualifiziert. Die Veranstaltung war eine glatte Beleidigung für jeden Bürger, der an unsere Verfassung glaubt, ob mit oder ohne Migrationshintergrund. Doch damit nicht genug. Seine anschließende Verweigerung, sich wenigsten – wie dies Gündogan tat – durch eine öffentliche Stellungnahme ansatzweise dafür zu entschuldigen, war eine weitere Enttäuschung. Und nun auch noch die unsäglichen Rassismusvorwürfe, mit denen er auf die billigste Weise die kollektiven Schuldgefühle der deutschen Bevölkerung provozieren will, um damit seine eigene Verfehlung zu retuschieren.

Angeblich war Özil das Paradebeispiel für gute Integration. Doch er hat sich eher als das Gegenteil entpuppt. Als Fußballer groß geworden im freiheitlichen Deutschland, das ihn schließlich mit offenen Armen in die Nationalmannschaft aufgenommen hat, verdient er heute in der freien Welt, derzeit in England, Millionen. Dass er mit diesem Status nun dem despotischen Präsidenten seines Herkunftslandes, der alle in- und ausländischen Bürger einsperren lässt, die eine kritische Meinung äußern, kann man wohl kaum – wie Özil jetzt schrieb – mit „Respekt vor dem Präsidentenamt“ erklären. Wie steht es mit dem Respekt gegenüber den unschuldig Inhaftierten, Verurteilten und Amtsenthobenen? Keiner nimmt Ozils Verbundenheit zum türkischem Volk übel. Wohl aber die Umarmung eines Präsidenten, der die Menschenrechte mit Füßen tritt und mit Demagogie und List sich zum Alleinherrscher aufschwingt. Da hätte man vom Integrationsvorbild Özil erwartet, dass er für die Werte der offenen Gesellschaft eintritt. Hätte er das getan, wären ihm die Herzen der meisten Deutschen zugeflogen, selbst wenn seine sportlichen Leistungen zu wünschen übrig gelassen hätten.

Vielleicht ist Özil so unpolitisch und naiv, dass er die Bedeutung seiner Geste nicht verstanden hat und zum Spielball von taktierenden Hintermännern wurde. Jeder macht Fehler. Doch mit Kritik kann Özil scheinbar genauso wenig umgehen wie Erdogan. Verletzt schießt er jetzt wild um sich. Sein Rücktritt kam lediglich dem Rauswurf zuvor. Wir müssen uns nun einen anderen Vorzeige-Integrierten suchen. Glücklicherweise gibt es genug davon, auch wenn die meisten nicht so gut Fußball spielen können. Wir sollten trotz klarer Zurückweisung von Özils kindischen Vorwürfen nicht an Selbstkritik sparen, was den Umgang mit türkischen Immigranten angeht. Selbstgerechtigkeit ist nicht angebracht. Zum Schluss bleibt die Einsicht, dass zur Integration sowohl auf der einen Seite der Wunsch gehört, zu einer Gesellschaft zu gehören und zu deren Grundwerten zu stehen, als auch auf der anderen Seite die Bereitschaft, diese dann herzlich aufzunehmen.

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