Nicht nur ein Skandal: Rücktritt des bestbezahlten WV-Managers

Ein Skandal, wie er seines Gleichen sucht. Betrug am Kunden, Schädigung von Mensch und Umwelt, Zerstörung von Ruf und Vertrauen, Gefährdung von Arbeitsplätzen und Vernichtung von Kapital. Ganz Deutschland wird unter diesem „Fehlverhalten“ zu leiden haben. Man muss wohl nicht darüber diskutieren, dass die Schuldigen hart bestraft werden sollten. Aber wer trägt die Schuld? Trotz Rücktritt ist sich der ehemalige Vorstandsvorsitzende Winterkorn „keines Fehlverhaltens bewusst“. Mit Jahresbezügen jenseits von 15 Millionen Euro war er Deutschlands bestbezahlter Manager. Auch mit Selbstzweifel und Berufsethos scheint sein „Rücktritt“ wenig zu tun zu haben. Wollte er doch noch Tags zuvor nichts von einem solchen hören. Erst die anschließende Aufsichtsratssitzung gab das Amt schlagartig frei.

Obwohl einige Indizien und Erfahrungen dagegen sprechen, halte ich es immerhin für möglich, dass Winterkorns Äußerung, er habe von der Softwaremanipulation, mit der 11 Millionen VW-Dieselfahrzeuge die Abgastests beschönigt haben, sogar wahr sind – sagen wir lieber etwas vorsichtiger: einer Art Wahrheit entsprechen. Jedenfalls möchte man ihm soviel Skrupellosigkeit und vor allem so viel Dummheit, ein solches Risiko bewusst einzugehen, nicht zutrauen. Doch selbst unter dieser wohlwollenden Annahme war es richtig, dass Winterkorn zurücktreten musste. Und das gilt nicht nur deshalb, weil er als Chef formal die Verantwortung für einen Skandal dieser Größenordnung zu übernehmen hat. Winterkorn hat sich selbst als Unwissender auch inhaltlich zu verantworten, weil es in seinem Unternehmen überhaupt möglich und in gewisser Weiße opportun war, einen Betrug dieser Größenordnung zu organisieren, und weil sein unverhältnismäßig hohes Gehalt gerne damit gerechtfertigt wurde, dass der Unternehmenserfolg schließlich seinen persönlichen Stempel trage. Doch in dieser Logik muss er auch für die Macken in seinem Stempel verantwortlich gemacht werden. Und wie sieht es dann mit seiner Erfolgsbilanz aus?

Wenn man die zig Milliarden, die dem Konzern nun für Strafen, Regressansprüche sowie Börsenwert- und Imageverlust verloren gehen, abzieht, dürfte davon nichts mehr übrig bleiben. Ist rückblickend betrachtet der Manager Winterkorn vor diesem Hintergrund seine 15 Millionen Euro pro Jahr Wert gewesen? Wohl kaum. Die Umsatzbeteiligungen an verkauften Dieselfahrzeugen, die gewiss auch in den kassierten Jahres-Boni versteckt sind, schon mal gar nicht. Und die Abfindung, die vermutlich 30 Millionen Euro betragen wird, ist einem anständigen Bürger ohnehin nicht mehr zu erklären.

Zumindest hierzulande wird gegen Winterkorn entgegen erster Falschmeldungen kein formelles Ermittlungsverfahren geführt. Die Ermittlung läuft stattdessen gegen Unbekannt, was naturgemäß am Ende doch wieder zu Winterkorn führen könnte. Da brauchen wir wohl etwas Geduld und Vertrauen in die Staatsanwaltschaft und den Rechtstaat. Doch jenseits der juristischen Verantwortung gibt es noch ethische Aspekte, die den Staatsanwalt zwar vielleicht nicht interessieren, aber für unsere Gesellschaft durchaus von Relevanz sind. Zu überdenken sind einmal mehr riesige Managementgehälter sowie die ihr zugrunde liegende Philosophie autoritärer und streng hierarchischer Unternehmensführung. Letzteres ist im Grunde ein Überbleibsel eines veralteten betriebswirtschaftlichen Leitbildes, das eigentlich überhaupt nicht zu den modernen Idealen unserer Gesellschaft passt. Ohne hier alle Facetten dieser komplexen Thematik beleuchten zu können – was nicht heißen soll, dass ich sie überhaupt zielsicher und vollständig benennen könnte – will ich versuchen, kurz zu begründen, warum der vorliegende Skandal für mich mehr ist als nur ein Krimi. Er sollte uns Anlass geben, das Thema leistungsgerechte Bezahlung von Topmanagern grundsätzlich zu überdenken.

Auch wenn es gerne von entsprechender Seite suggeriert wird, gibt es keine plausible Methode, mit der sich nachweisen ließe, dass ein angestellter Vorstandsvorsitzender etwa 500 mal mehr leistet als ein Angestellter der unteren Ebene und deshalb auch 500 mal mehr Geld verdient habe. Die Herstellung einer quantitativen Relation dieser Art bleibt letztendlich willkürlich. Man kann folglich nur nach einem Konsens zwischen den Anspruchsgruppen suchen. Die Höhe des Gehaltes muss als gerecht empfunden werden. So wird kaum jemand bestreiten, dass es Leistungs- und somit auch Gehaltsunterschiede geben sollte und geben muss. Schon allein der zeitliche Mehreinsatz des Topmanagers könnte dies rechtfertigen. Das Ausmaß der Unterschiede ist allerdings nicht mehr konsensfähig. Wären nicht 10 Prozent dessen, also das maximal 50-fache ausreichend? Im Falle Winterkorn wären das beispielsweise 1,5 Millionen pro Jahr gewesen? Und wie steht es mit dem häufig vorgebrachten Argument, der Markt bestimme die Preise? Man könne auf dem Managermarkt keinen wirklich guten Kandidaten anwerben, ohne die so genannten „Marktpreise“ zu bedienen? Ich halte dieses Argument für weltfremd und vorgeschoben und gerade im Fall Winterkorn für widersprüchlich. Denn sagte er nicht selbst in seiner Rücktrittserklärung, „Volkswagen war, ist und bleibt mein Leben“? Er sagte eben nicht „mein Jahresgehalt von 15 Millionen Euro war mein Leben“. Ich glaube ihm das sogar, und aus Winterkorns Perspektive ist das Ganze sicherlich nicht wegen des Geldes ein schmerzliches und tragisches Ende seiner 22-jährigen Karriere bei VW.

Wahrscheinlich hat die Gehaltshöhe für einen Manager vom Schlage Winterkorn hauptsächlich Symbolwert, nach dem Motto: Je mehr man dem Aufsichtsrat entlocken und vor der Hauptversammlung vertreten kann, desto besser und wertvoller darf man sich fühlen. Die Gehaltsfindung folgt demnach eher einer umgekehrten Logik als nur der, die so gerne als Rechtfertigung vorgeschoben wird. So bestimmt nicht der ohnehin unberechenbare Wert des Topmanagers die Höhe seines Gehalts, sondern umgekehrt: die Höhe des Gehalts legt den Wert des Topmanagers fest. Die resultierenden extrem hohen Bezüge, die keine logische Grenze kennen, manifestieren überdies ein Menschenbild, das nicht nur große Unterschiede zwischen den Lebensleistungen von Menschen suggeriert, sondern auch – was im vorliegenden Zusammenhang für uns von größerer Bedeutung ist – dass tausende Menschen und Prozesse von einzelnen besonders wertvollen Menschen zentral ferngesteuert werden können. Eine fatale und folgenreiche Fehleinschätzung, deren Anmaßung sich gerade beim aktuellen Abgasskandal zeigt, und zwar erst recht, wenn Winterkorn tatsächlich nichts von der Manipulation gewusst hat.

Wie ausgeprägt ein solches vermeintliches Marionettentheater im WV-System unter Winterkorn war, vermag ich als Außenstehender nicht in letzter Konsequenz zu beurteilen. Von Experten und Eingeweihten ist allerdings zu hören, dass Winterkorn das Unternehmen sehr autoritär und hierarchisch regiert habe. Ein solcher Führungsstil weißt nach modernen sozialwissenschaftlichen Erkenntnissen erstens auf eine gewisse Selbstüberschätzung des Oberhauptes hin. Zweitens begünstigt er kritiklose Ja-Sager der untergeordneten Hierarchieebenen. Er bestraft Kritiker und Zweifler und belohnt diejenigen, die bedingungs- und bedenkenlos die Zielvorgaben des jeweils Vorgesetzten, der am Ende das Ober-Alphatier ist, verfolgen. Alle zwei Faktoren spielen vermutlich in der Entstehungsgeschichte des aktuellen Supergaus eine wichtige Rolle. Inwiefern sie auch in den anderen Autokonzernen, die ebenfalls die angegebenen Abgaswerte nicht eingehalten haben, eine Rolle gespielt haben, bleibt bei meiner Kenntnislage über die konkreten Unternehmenskulturen noch spekulativer. Dennoch ist es für mich schwer vorstellbar, dass ein Konzern derartig die ethische und gesetzliche Orientierung verliert, wenn er einen weitblickenden Vorstandsvorsitzenden besitzt, der nicht um jeden Preis eine kurzfristige Umsatz- und Gewinnmaximierungsstrategie durchpeitscht – sei es um als Branchenprimus zu glänzen oder ganz einfach um hohe Jahres-Boni zu generieren.

Wir kennen die Problematik ja bereits von der Bankenkrise, deren Protagonisten ihr Unternehmen ebenfalls sehr konservativ und autoritär geführt haben und gleichzeitig – wie etwa der ehemalige Deutsche Bank Chef Ackermann – nichts von den Verfehlungen seiner Bank gewusst haben will. Und Gleiches kennen wir auch vom ewigen Fifa-Chef Blatter. Immer zeichnet sich dasselbe Bild ab: Ein autoritärer Führungsstil und ein alter, selbstgerechter Mann, der von nichts wusste, aber brutalstmögliche Aufklärung verspricht. Winterkorn war sich nicht einmal zu schade, in seinem ersten Statement, als er offenbar noch glaubte bleiben zu dürfen, sein „Ehrenwort“, ich wiederhole: sein Ehrenwort, zu geben. Wer sich da nicht sofort an Barschels schamlose Worte erinnert fühlte, bevor jener endgültig baden ging, ist noch zu jung, um es miterlebt zu haben. Darüber hinaus sollten ein Konzernführer und sein Beraterstab wissen, dass das Ehrenwort eines Mannes, der gerade des Betruges bezichtigt wird, zunächst einmal nichts wert sein kann und nur das Signal sendet, das Publikum in seiner berechtigten Skepsis nicht ernst zu nehmen.