In der ökonomischen Theorie sieht zunächst alles ganz klar und einfach aus. Eine marktwirtschaftliche Ordnung ist unter dem Strich die effizienteste und gleichzeitig die innovationsintensivste Methode des Wirtschaftens. In ihrem Mittelpunkt steht ein Preisbildungsmechanismus, der von keiner zentralen Verwaltungsinstanz gesteuert wird, sondern im Idealfall einzig und allein auf Knappheitsverhältnisse reagiert. Marktpreise haben somit eine Lenkungsfunktion zur Minderung von Knappheit. Sie entstehen spontan aus dem Zusammenspiel von Anbietern und Nachfragern. Während letztere ihre Kaufentscheidungen vom Preis, der Qualität und ihrem persönlichen Budget abhängig machen, wetteifern Anbieter durch geschicktes Management, zu dem vor allem gut gewählte und geführte Mitarbeiter, Kosteneffizienz, attraktives Preis-Leistungsverhältnis, innovative Produktentwicklung und verführerisches Marketing gehören, sich gegen die Konkurrenz durchzusetzen. Im Allgemeinen hat sich dieses selbstorganisierende System in der Praxis als sehr vorteilhaft für die Gesellschaft erwiesen. Doch manchmal versagt der Markt. Das gilt nicht zuletzt für den Versuch, die Klimaerwärmung zu bremsen und die natürlichen Ressourcen zu schonen. Hier muss der Staat Korrekturen vornehmen. Um zu verstehen, warum und wie er das macht, sollte man folgende Zusammenhänge kennen.
Der Schaden durch „externe Kosten“
Ein dauerhaftes Angebot eines Produktes kommt nur dann zustande, wenn sein Erlös am Markt die zur Herstellung und zum Verkauf notwendigen Kosten überschreitet oder wenigstens deckt. Die Untergrenze der Verkaufspreise wird somit durch die Kosten markiert. Ob ein Angebot am Markt bestehen kann, hängt also davon ab, ob zu einem Verkaufspreis, der sich oberhalb dieser Untergrenze bewegt, eine ausreichende Nachfrage gegenübersteht. Ist das nicht der Fall, besitzt das jeweilige Produkt nicht den erhofften Wert für die Konsumenten und verschwindet vom Markt. Die volkswirtschaftlichen Produktionsfaktoren Arbeitskraft, natürliche Ressourcen und Kapital fließen dann in die Herstellung anderer Produkte oder in andere Branchen, die diese Bedingung erfüllen. Der marktwirtschaftliche Preismechanismus entfaltet trotz verschiedener Fehlinvestitionen und Insolvenzen auf diese Weise unter dem Strich eine hohe Wirtschaftlichkeit. Sobald aber Teile der tatsächlichen Produktionskosten auf Dritte oder sogar die Allgemeinheit abgeschoben werden können, ergeben sich Allokationsverzerrungen, welche den Konsum betreffender Produkte zwar erschwinglicher machen sowie ein Produkt und dessen Hersteller oder Händler im Rennen halten beziehungsweise ihnen Gewinne bescheren. Gleichzeitig werden damit aber Schäden, sogenannte „externe Kosten“ produziert, die sich mitunter schleichend über die gesamte Gesellschaft ausbreiten. Das ist insbesondere seit der industriellen Revolution nachweislich der Fall. Umweltschäden durch eine gefährliche Klimaerwärmung, Verseuchung der Nahrungskette durch Mikroplastik sowie die Reduktion der Biodiversität sind derzeit die auffälligsten Phänomene.
Externe Kosten in der Landwirtschaft
Und auch die intensive landwirtschaftliche Produktion von Lebensmitteln hat einen beträchtlichen Anteil an dieser schleichenden Schädigung unserer lebensnotwendigen Umwelt. Der Einsatz von Maschinen zur Bodenbearbeitung und Ernte sowie vor allem die exzessive Ausbringung von Pflanzenschutz- oder Düngemitteln erhöhen zwar die Produktivität, verschlechtern aber auf Dauer die Bodenqualität und die für das Gesamtsystem wichtige Biodiversität. Die übliche Stickstoffdüngung sorgt zudem für eine schädliche Nitratbelastung des Grundwassers und eine bedenkliche Überversorgung der Flüsse, Seen und Meere mit Nährstoffen.
Nun ist es weder gerecht noch zielführend, allein die deutschen Landwirtinnen und Bauern für diese Praxis verantwortlich zu machen. Auch sie sind zu einem gewissen Maß nur Getriebene im System des internationalen Wettbewerbs. Der Druck, die Produktivität mit weltweit erlaubten Mitteln und Methoden zu steigern, ist hoch. Um am Markt bestehen zu können, müssen Ausbringungsmengen pro Quadratmeter bis an die Grenzen der Machbarkeit gesteigert und interne Kosten, die der landwirtschaftliche Betrieb tatsächlich bezahlen und in seine Preiskalkulation einbeziehen muss, so weit wie möglich gesenkt werden. Da aber die externen Kosten der Umweltschädigung durch die allgemeinen gesetzlichen Rahmenbedingungen keinen Einfluss auf die Preisgestaltung haben, genießen die Konsumenten von Produkten insbesondere aus konventioneller Landwirtschaft vergleichsweise niedrige Preise. Hinzu kommt, dass in Deutschland im internationalen Vergleich relativ niedrige Anteile der privaten Haushaltsbudgets für Nahrungsmittel ausgegeben werden. Das verleitet unter anderem zu einem übermäßigen Einkauf und Konsum eigentlich zu billiger Produkte. Rund 11 Millionen Tonnen Lebensmittel werden jährlich in Deutschland entsorgt. Mehrheitlich übrigens in Privathaushalten. Gleichzeitig leidet ein erschreckend hoher Anteil der deutschen Bevölkerung an Übergewicht und den damit verbundenen Zivilisationskrankheiten wie Diabetes, Herzkreislauferkrankungen und sogar Krebs. Laut Selbstauskunft sind in Deutschland 53,5 % der Erwachsenen von Übergewicht betroffen – Männer häufiger als Frauen. Abgesehen von den individuellen Leiden wird dadurch auch die Allgemeinheit über die hohen Kosten im Gesundheitswesen belastet. Allerdings – das sollte in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben – spielt hier der Überkonsum von Fleisch sowie die hohe Verbreitung von Fertigprodukten und Fastfood eine große Rolle, bei denen, wo immer es möglich ist, auf natürliche und gesunde Zutaten zugunsten der Haltbarkeit und Kostenreduzierung verzichtet wird.
Allein diese wenigen Makrodaten zeigen, dass von einer wirtschaftlich vernünftigen Versorgung mit „Lebensmitteln“ nicht mehr die Rede sein kann. Ein Umdenken und Umlenken ist angesagt. Bleibt die Frage, wo fängt man an, und welche flankierenden Maßnahmen wären notwendig?
Liberale Marktwirtschaftler argumentieren gerne mit dem Begriff „Konsumentensouveränität“. Damit ist gemeint, dass der jeweilige Konsument die Wahl haben sollte, womit und in welchen Mengen er sich versorgt. Zwar gibt es eine wachsende Anzahl an Menschen, die freiwillig aus Einsicht versuchen, vernünftiger mit dem Thema umgehen, sich trotz oft höherer Preise Bioprodukte aus der Region kaufen, weniger, beziehungsweise gar kein Fleisch essen und den Kühlschrank lieber einen Tag leer vorfinden, als stetig einen verdorbenen Teil seines Inhalts entsorgen zu müssen. Ein Großteil aber lässt nicht ab von seinen liebgewonnenen Gewohnheiten, ignoriert die Problematik oder glaubt nicht an die Selbstwirksamkeit im notwendigen Änderungsprozess. Dieser mehrheitliche Teil der Gesellschaft lässt sich erfahrungsgemäß bestenfalls über die Einführung allgemeingültiger Regeln, die über das Portmonee laufen, zu einer Verhaltensänderung bewegen. Das gefällt natürlich den wenigsten, nicht zuletzt der ärmeren Bevölkerung.
Die Internalisierung von externen Kosten
Der theoretisch logische Vorschlag von Marktwirtschaftlern lautet folglich: Um einen funktionsfähigen Preismechanismus in den Bereichen negativer externer Kosten herzustellen, müssen externe Kosten durch spezifische Steuern auf die Herstellung betreffender Produkte beziehungsweise deren Konsum internalisiert werden. Dadurch steigen die Preise dieser Produkte und damit sinkt voraussichtlich auch deren Herstellung und Konsum. Man nennt diese Methode „Lenkungssteuer“. Sie geht auf den Ökonom Arthur Cecil Pigou zurück und hat seiner Idee nach nicht zum Ziel, die Staatseinnahmen zu erhöhen, sondern Produzenten und Konsumenten in ihren Produktions- und Kaufentscheidungen zu beeinflussen. Sofern es gelingt, diese speziellen Steuern auf die betreffenden Produkte so zu bemessen, dass sie in etwa die verursachten externen Kosten (Umweltschäden, Krankheitsverursacher) widerspiegeln, hofft man zu einer reduzierten und damit wieder wirtschaftlich angemessenen Nutzung zu gelangen. Die bekanntesten Beispiele für diesen Versuch sind in Deutschland die Tabaksteuer und die Ökosteuer für Benzin und Diesel. Bekanntlich hat insbesondere die Ökosteuer – entgegen Pigous Idee – nicht den gewünschten Lenkungseffekt gehabt. Vermutlich war deren Höhe nicht ausreichend, obgleich sich bereits bei geringen Preiserhöhungen verständlicher Weise jeder Autofahrer an der Tankstelle ärgert. Um die Ökosteuer zu vermeiden, fehlten und fehlen noch immer gangbare Alternativen. Doch ohne Alternativen zu einer bezahlbaren Mobilität ändert man nichts oder nur wenig am Nutzungs- und Kaufverhalten gesamtgesellschaftlich schädlicher Produkte. Die Konsumentensouveränität wird ohne echte Alternativen zur Farce. Die Lenkungssteuer zur reinen Finanzierungsquelle des Staates. Der Protest gegen eine solche Besteuerung ohne bezahlbare Alternative fällt deshalb verständlicherweise besonders hoch aus.
Schädliche Subventionen
Zurück zu den aktuellen Bauerprotesten gegen die Kürzung der Subventionen. Das Gegenstück zur Internalisierung externer Kosten durch eine Lenkungssteuer ist die Subventionierung. Durch eine Subvention bestimmter Branchen, Produkte oder Unternehmen eröffnet man den Empfängern die Möglichkeit, Preise günstiger zu gestalten, als dies unter marktwirtschaftlicher Preisbildung der Fall wäre. Mit sinkenden Preisen betreffender Produkte steigen deren Nachfrage und Konsum. Der Staat gewährleistet auf diese Weise die Existenz und Wettbewerbsfähigkeit von Produkten, Herstellungsmethoden und Unternehmen, aber verschlechtert zugleich die Wettbewerbschancen (potenzieller) nachhaltigerer Produkte und Verfahren.
Zum Ausgleich der Wettbewerbschancen kann man natürlich staatliche Subventionen ebenso zur Unterstützung von nachhaltigen Produkten und Technologien zahlen. Wenn sie dadurch eine Starthilfe für den Weg in eine eigenständige, dauerhafte Wettbewerbsfähigkeit finden, kann das sinnvoll sein. Die Schwierigkeit: Wissen die politischen Entscheidungsträger zielsicher, wen und was sie mit welchen Summen subventionieren sollten. Sind zum Beispiel Elektroautos tatsächlich der Heilsbringer für die ökologische Verkehrswende? Drei andere diskussionswürdige Beispiele aus der Vergangenheit. Erstes Beispiel: War es klug die Atomenergie massiv und lange zu subventionieren, wenn sie gleichzeitig große gesamtgesellschaftliche Lasten – ökonomische wie ökologische – für die Zukunft verursacht? Hätte man auf Dauer nicht mehr erreicht, wenn man Jahrzehnte früher auf erneuerbare Energien gesetzt hätte? Zweites Beispiel: Die langjährige europäische Subventionierung der Milch produzierenden Landwirtschaft hatte eine irrsinnige Produktion von nutzlosen „Butterbergen“ und „Milchseen“ erzeugt. Einziges politisches Motiv dieser unwirtschaftlichen Subventionspolitik war es, den Status quo der Bauern zu bewahren. Drittes Beispiel: Die Bergbauindustrie von Kohle wurde Jahrzehnte lang subventioniert, um die Arbeitsplätze und Berufstradition der Kumpel am Leben zu halten. Das hat die Umstellung auf andere Energieträger behindert. Dauerhafte Subventionen zur Bewahrung von Produkten, Herstellungsverfahren, Unternehmen und Branchen, die ansonsten aus gutem Grund nicht mehr im Wettbewerb bestehen können, sind nie eine gute Idee. Sie beschädigen den Kern des funktionsfähigen Preissystems und bremsen damit die gepriesene Anpassungsdynamik der Marktwirtschaft aus.
Gerechte Lastenverteilung
Subventionen zum Zweck einer politisch gewünschten Entwicklung auf der einen Seite und die Erhebung einer Lenkungssteuer für eine unerwünschte auf der anderen gelten auch in der aktuellen Politik prinzipiell als probate Mittel, um eine Entwicklung hin zur Nachhaltigkeit zu entfalten. Die CO2-Besteurung bei gleichzeitiger Abschaffung der EEG-Umlage folgen ebenso dieser Logik wie die Abschaffung der Steuerbefreiung für landwirtschaftlich genutzten Diesel. Vor dem Hintergrund der obigen Überlegungen wäre es volkswirtschaftlich und ökologisch kontraproduktiv, wenn man nebeneinander ebenso umweltschädliche wie nachhaltige Produkte und Technologien subventioniert. Abgesehen davon, dass eine solch doppelzüngige Subventionspolitik den staatlichen Haushalt und damit den Steuerzahler doppelt belastet, verpufft der gewünschte Lenkungseffekt. Es ist somit grundsätzlich konsequent, wenn jetzt auch die Landwirte nicht länger von der Steuer für Diesel befreit werden. Natürlich wird sich hierüber kein Landwirt und keine Bäuerin freuen. Ob die Streichung des Privilegs der Dieselsteuerbefreiung – wie gerne behaupten – existenzbedrohend für den gesamten Berufsstand ist, darf aber stark bezweifelt werden. In der Gesamtbetrachtung fuhr die Branche im vergangenen Jahr sogar Rekordergebnisse ein. Nach offiziellen Statistiken erzielten Landwirte im Durchschnitt immerhin einen jährlichen Gewinn von 115.000 Euro. Die durchschnittliche Belastung durch die Aufhebung der Subventionierung beläuft sich angeblich auf nur 1500 Euro im Jahr. Das sieht nach einem leicht verkraftbaren Beitrag aus. Ob die Maßnahme einen Lenkungseffekt hat, hängt allerdings von den Alternativen ab, die die Bauern haben. Eine Umstellung auf ökologische Landwirtschaft ist vorstellbar, der Verzicht oder die Reduzierung des Dieselverbrauchs eher nicht. Es ist sogar das Argument zu hören, dass bei Verzicht auf konventionelle Schädlingsbekämpfung der Einsatz von Traktoren verstärkt werden müsse. Wenn das stimmt, wären Biobauern überproportional belastet, was der ökologischen Zielsetzung nicht dienlich ist.
Wenn es im vorliegenden Fall – wie aufgrund des Haushaltlochs zu vermuten ist – nicht um eine Lenkungsbesteuerung, sondern um die Staatsfinanzen geht, dann sollte man bei der Ausgabenkürzung die gerechte Lastverteilung mit hoher Sensibilität vornehmen und angemessen kommunizieren. Hier tun sich Zweifel am Vorgehen der Regierung auf. Zum einen wird teilweise auch von außenstehenden Kritikern moniert, dass die geplanten Einsparungen bei den Bauern mit beinahe einer Milliarde Euro unverhältnismäßig hoch sind. Sie entsprechen einer 15-prozentigen Belastung bei einem 1-prozentigen Anteil an der Gesamtleistung der Volkswirtschaft. Hierüber hätte man sich nicht nur im Vorfeld besser mit den Betroffenen verständigen, sondern auch gleichwertige Kürzungen bei anderen Adressaten vornehmen müssen, um eine gerechtere Lastenverteilung zu erreichen. In der öffentlichen Kommunikation hätte man dann mit einer proportionalen Lösung auch ein stärkeres Argument zu einer gesamtgesellschaftlichen Anstrengung an der Hand. Jetzt hingegen vereinigen sich die besonders getroffenen Landwirte mit Leidensgenossen wie den Transportunternehmern und der Gastronomie. Im Erfolgsfall fördert das den Lobbyismus. Es steht zu befürchten, dass das Prinzip, „wer am lautesten schreit, bekommt am meisten“, als ein allgemein probates Mittel gesehen wird, wenn die Regierung jetzt zurückrudert.
Keine speziellen Probleme der Bauern
Man sollte sich darüber hinaus nicht allein an den statistischen Durchschnittswerten der Einkommen von Bauern orientieren, sondern auch die innere Verteilungsstruktur der agrarwirtschaftlichen Betriebe berücksichtigen. Es wird seit langem kritisiert, dass insbesondere landwirtschaftliche Großbetriebe von den Subventionen profitieren. Zwei Punkte seien in diesem Zusammenhang erwähnt, die für die Proteste einiger Bauern, namentlich kleiner Familienbetriebe und Biobauern, sprechen. So ist erstens der Bürokratieaufwand mittlerweile auf ein Niveau gestiegen, das gerade kleinere Betriebe und Organisationen überlastet und sie an der Bewältigung ihrer Kernaufgaben hindert. Das ist allerdings kein spezielles Problem der Landwirtschaft. Auch andere Branchen wie das Gesundheitswesen, der Mittelstand, die Baubranche und Schulen klagen zurecht hierüber. Ärzte, Pflegepersonal, kleine und mittlere Unternehmen, die Baubranche und selbst Lehrer – um nur die auffälligsten Beispiele zu nennen – beklagen eine überzogene Bürokratisierung. Sie alle müssen eine unverhältnismäßige Zeit für verwaltungstechnische Dokumentationen aufwenden, die entweder speziell erforderliches Personal beziehungsweise die Bezahlung externer Dienstleister zur Folge haben, oder – wie sicherlich auch im Bereich landwirtschaftlicher Familienbetriebe – den eigentlichen Beruf unattraktiver machen.
Zweitens wird von vielen landwirtschaftlichen Familienbetrieben reklamiert, dass ihre Kinder unter den gegebenen Bedingungen kein Interesse mehr haben, den Betrieb fortzuführen. Wer sich schließlich für die Landwirtschaft entscheidet und vielleicht auf einem Bauernhof aufgewachsen ist, weiß nur zu gut, dass man sein gesamtes Leben darauf abrichten muss. Das ist in den nachwachsenden Generationen, denen gerade in Zeiten des aufkommenden Arbeitnehmermarktes alternative Laufbahnen offenstehen, ohnehin nicht für jeden eine Einladung. Auch das ist allerdings ein Phänomen, welches bei der jüngeren Generation allgemein zu beobachten ist. Viele junge Menschen haben gewachsene Präferenzen für Freizeit. Ärzte, die zeitlich überlastet sind und ständig Wochenend- und Bereitschaftsdienste mit hoher Arbeitsbelastung leisten müssen, sind für die nachwachsenden Generationen nicht mehr so attraktiv wie früher. Handwerksbetrieben, die erst jüngst eine Hochphase erlebten und im Allgemeinen nicht gerade an Verarmung leiden, fehlt der Nachwuchs, weil zumindest die Vorstellung herrscht, man könne mit höherem Bildungsgrad angenehmere und lukrativere Karrieren starten. Und auch die Bahn hat mit diesem Wertewandel zu kämpfen, wenn die Zugführer eine deutliche Arbeitszeitverkürzung verlangen, um die Lasten durch schwer mit den sozialen Bedürfnissen zu vereinbarenden, unattraktiven Dienstpläne besser kompensieren zu können. Auch die Bahn hat sich zu spät um eine vorausschauende Personalpolitik gekümmert. Selbiges gilt für den Lehrermangel, der sich in den nächsten Jahren noch stärker bemerkbar machen wird und Burnouts am laufenden Band produziert. Und schließlich haben auch viele rentenreife Mittelständler ein zunehmendes Problem, Unternehmensnachfolger zu finden. Im Falle der staatseigenen Bahn sowie dem staatlichen Schulwesen kann man der Politik durchaus eine direkte Verantwortung zuweisen, obgleich zu bedenken ist, dass die Ursachen hierfür in vorangegangenen Regierungsperioden liegen. Die Nachwuchsprobleme von Bauern, Handwerkern oder Mittelständlern der Politik in die Schuhe zu schieben, ist hingegen zu einfach, etwas selbstgerecht und gewiss auch unfair.
Drittens bewirkt der Druck auf die Produktivität eines landwirtschaftlichen Betriebes, dass kleine Betriebsgrößen Nachteile gegenüber Großbetrieben besitzen. Das führt seit vielen Jahren dazu, dass Kleinbetriebe aufgeben werden und ihre Anbauflächen an Großbetriebe verkauft oder verpachtet werden. Wir kennen solche Konzentrationsprozesse zugunsten der Produktivität seit langer Zeit auch aus anderen Bereichen. Massenproduktion zur Steigerung des gesamtgesellschaftlichen Wohlstands ist ein Erfolgsfaktor des Kapitalismus. Auch in jüngerer Geschichte fand beispielsweise mit dem Verschwinden der Tante-Emma-Läden eine solche Entwicklung statt, die zwar aus nostalgischen Gründen bedauerlich war, aber der Bevölkerung geholfen hat, mehr Wohlstand zu generieren. Ob der Massenbetrieb ökologisch sinnvoll ist, bleibt eine andere Frage.
Verzerrender Lobbyismus
Zur Frage, wie die Art und Weise des aktuellen Bauernprotestes zu bewerten ist, sei Folgendes gesagt. Deutschland besitzt aus gutem Grund ein ausgeprägtes Demonstrationsrecht. Die meisten Demonstrationen behindert eine Zeitlang punktuell den Verkehr. Das kann für Einzelne ärgerlich sein, ist aber in der Güterabwägung verhältnismäßig und hinzunehmen. Die Aktionen der „Letzten Generation“, die sich stundenlang auf Straßen festgeklebt hat, überschritt den rechtlichen Rahmen bereits, zumal es sich nicht um angemeldete und genehmigte Demonstrationen handelte. Was man ihnen zugutehielt und zugutehalten kann, war, dass sie aus tiefster Überzeugung und nicht aus gruppenegoistischen Motiven, sondern für das Wohl der gesamten Menschheitszukunft eintreten wollten. Wenn sich hingegen Tausende von schweren Traktoren dazu verabreden, die „Republik lahmzulegen“ und die Bevölkerung sogar des nachts mit alarmartigem Getöse zu belästigen, mit dem Ziel, nicht wie alle anderen Bürger eine Dieselsteuer bezahlen zu müssen, fällt das moralische Urteil schon anders aus. Das Demonstrationsrecht haben sie dabei angeblich nicht verletzt. Doch es bleibt eine Tatsache, dass sie mit ihrem monströsen Fuhrpark eine Macht ausgeübt haben, die anderen demonstrierenden Interessengruppen nicht zur Verfügung steht, wobei wir bei den unheilsamen Effekten des Lobbyismus angelangt wären.
Es ist bekannt, dass die Bauern schon sehr lange eine starke, historisch gewachsene Lobby in Deutschland besitzen. Politiker sind deshalb einem Konflikt mit ihnen stets gerne aus dem Weg gegangen. Allen voran die CDU/CSU, die einen großen Teil der Branche ihrer traditionellen Wählerschaft zurechnen konnte und wahrscheinlich noch immer kann. Soweit verschiedene organisierte Lobbys in einem repräsentativen Verhältnis ihre spezifischen Interessen außerhalb der legislativen Institutionen geltend machen, gehört das noch zur akzeptablen Praxis einer pluralistischen Großgesellschaft. Doch nicht zuletzt der Wirtschaftsnobelpreisträger Mancur Olson hat vor über 50 Jahren bereits gezeigt, dass Interessengruppen typischerweise einen sehr asymmetrischen Einfluss auf die Politik ausüben. Erstens: Je besser eine Lobby sich organisieren kann und de facto organisiert ist, desto schlagkräftiger und einflussreicher ist sie. Zweitens: Je spezifischer und homogener die Interessen einer Gruppe sind, desto besser kann sie sich lobbyistisch organisieren. Beides zusammengenommen führt dazu, dass sich spezifische Interessen gegen allgemeine Interessen besser durchsetzen können. Das kann man mit demokratischen Idealen natürlich nicht mehr gut in Einklang bringen.
Das Märchen von der nationalen Selbstversorgung
Nun nehmen aber die Landwirte und Landwirtinnen in der Öffentlichkeit in Anspruch, für das Wohl der gesamten Gesellschaft zu kämpfen, also eben keine spezifischen Eigeninteressen zu verfolgen: Ein Land, das die eigene Bevölkerung nicht mehr ernähren kann, könne doch niemand wollen. Doch dieses Argument, das auf den ersten Blick durchaus plausibel erscheint, ist unzulässig verkürzt und blendet mehrere Perspektiven aus. Erstens: Wir sind schon jetzt nur in einigen Bereichen landwirtschaftlicher Lebensmittel in der Lage, uns selbst zu versorgen. Ganz oben auf der Liste steht mit 150 % der Anbau von Kartoffeln. Kurz darauf folgt mit 149 % die Produktion von Zucker, der bekanntlich nicht gesund ist. Und auch bei Fleisch (121 %), das größtenteils aus einer bedenklichen Massentierhaltung stammt, stellt sich schon die Frage, warum man mit dem Argument der nationalen Selbstversorgung deutlich mehr produzieren muss, als die eigene Bevölkerung benötigt. Die leicht überschüssigen Mengen von Milch (112 %) und Getreide (109 %) kann man wohl noch rechtfertigen. Bei gesundheitlich besonders empfohlenen Produkten wie Obst (20 %) und Gemüse (38 %) sieht es allerdings anders aus. Hier tut sich eine große Lücke auf. Die Gründe für diese Produktionsstruktur liegen neben der bedauerlich niedrigen Nachfrage nach gesunden, lokalen Produkten im Bedürfnis, auch Früchte und Pflanzen konsumieren zu wollen, die wir hierzulande aus klimatischen Gründen nicht oder jedenfalls nicht durchgängig ohne erheblichen unwirtschaftlichen Aufwand anbauen können: Bananen, Orangen, Zitronen, Avocados, Reis, Artischocken, Paprikaschoten, Aubergine, Kaffee, Tee, Chiasamen, Muskatnüsse und einiges mehr. Das feiern wir bislang als Wohlstandsgewinne, die durch globalen Handel entstehen. Der Überschuss an Kartoffeln, Fleisch und Zucker macht aus Sicht der nationalen Selbstversorgung keinen Sinn. Man müsste vielmehr die landwirtschaftlichen Ressourcen ausgeglichener verwenden. Eine Doktrin der nationalen Selbstversorgung steht zudem im Widerspruch zu einer wirtschaftlich insgesamt verfolgten Globalisierungsstrategie zur gesellschaftlichen Wohlstandssteigerung. Das Argument des Bauernverbandes, in ihrem Bereich nationale Autonomie zu bewahren, könnte man, unter der Bedingung, dass ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen den landwirtschaftlichen Produkten bestünde, für sich genommen sicherheitspolitisch vielleicht noch vertreten. Doch zu bedenken ist, dass eine daraus resultierende Abschottung der Branche gegenüber dem Weltmarkt für eine Volkswirtschaft, die in vielen anderen Bereichen vom Export lebt, volkswirtschaftlich keinen Sinn machen würde.
Anders fällt das Urteil über nationale Selbstversorgung aus ökologischer Sicht aus. Wenn Lebensmittel aus fernen Ländern importiert werden, um in Deutschland für billig Geld verkauft zu werden, ist das stets verbunden mit erhöhten Umweltkosten durch den energieaufwendigen Transport sowie zum Teil durch einen umweltzerstörenden Anbau in fernen Ländern. Auch hier werden diese externen Kosten nicht in die Preise einkalkuliert: Lange Transportwege für Rindfleisch aus Argentinien und Brasilien aus Weideflächen auf abgeholzten Regenwäldern. Avocados, die in wasserarmen Gebieten eine Unmenge an Wasser benötigen, das armen Bauern entzogen wird. Selbstversorgung durch ein nationales, besser noch lokales Angebot wäre also unter ökologischen Gesichtspunkten sinnvoll. Unter der Freihandelsdoktrin, die uns in vielen anderen Branchen Wohlstandssteigerungen bringt, allerdings höchst problematisch.
Die Marktmacht der Handelskonzerne
Es gibt noch ein weiteres Feld, das die Situation der Bauern stark beeinflusst: Die Machtverteilung zwischen den Agrarproduzenten und den Supermarkt- und Discounterkonzernen. Während letztere sogar in Krisenzeiten gute Gewinne machen, sind die Bauern eher Opfer einer Übermacht der Handelskonzerne. Wenn diese Kritik zutrifft, würde eine ausgeglichene Bilanz der Marktmacht – wie auch immer diese realisiert werden könnte – zu einer Begradigung der Konzernprofite führen. Sofern das nicht gelingt, führt eine Erhöhung der Bezugspreise zu einer Erhöhung der Endpreise im Handel. Dann wären die Konsumenten, die derzeit in großer Mehrheit noch auf Seiten der Bauern stehen, die Leidtragenden. Es ist schwer vorstellbar, dass die meisten Konsumenten es verständnisvoll akzeptieren würden, wenn ihre Lebenshaltungskosten zugunsten der Bauern weiter steigen.
Es gibt gewiss noch einiges mehr zur Thematik zu sagen – auch Kontroverses. Doch die einfachen Formeln, welche die Bauern in der aktuellen Diskussion lautstark verkünden, werden der komplexen Sachlage nicht gerecht. Wie die Auseinandersetzung aufzulösen ist, bleibt eine schwierige Frage. Einfach dem lobbyistischen Druck nachzugeben und alles wieder zurückzunehmen, würde jedenfalls einige der oben genannten Zusammenhänge ignorieren und dem Lobbyismus Vorschub leisten. Ein Bärendienst für Demokratie und Umwelt.