Das Ende einer Boygroup: Die FDP verliert mit Lindner ihren besten Mann
Christian Lindner ist als Generalsekretär der FDP zurückgetreten. Man mag von der FDP halten, was man will, der mit 32 Jahren noch sehr junge Politiker ist seiner Beschaffenheit und seinem Charakter nach ein Politiker, den Deutschland braucht. Er ist intellektuell, kommunikativ, nicht dogmatisch, ernst aber nicht verbissen. Zudem hat er vernünftige Überzeugungen und zeigt sich als verantwortungsbewusst. Wie muss man nun seinen Rücktritt interpretieren?
Lindners eigene Erklärung wird von der Presse allgemein als zu kurz, abstrakt und wenig ergiebig bewertet. Das regt zur Spekulation an. Gewiss, da gab es ein wenig Druck wegen angeblicher Unzulänglichkeiten oder gar bewusst produzierter Unübersichtlichkeiten im Fragebogen des FDP-Mitgliederentscheids zur Eurorettung. Unter sonst intakten Umständen hätte das aber sicherlich nicht ausgereicht, um Lindner zum Rückzug zu bewegen. Seinen eigenen Worten konnte man entnehmen, dass dies eher der letzte Tropfen war, der das Fass zum Überlaufen brachte. Doch was war es, das da im Untergrund brodelte?
Die FDP steckt in der Krise. So weit nichts Neues. Allerdings kommt sie aus Ihrem Umfragetief trotz Wechsel der Parteiführung keinen Deut heraus. Was Rösler als Nachfolger des zu Recht gestürzten Guido Westerwelle bislang unternommen hat, ist nicht geeignet, das Images der Liberalen wieder aufzuhellen. Wie viel Verantwortung hierfür dem bisherigen Generalsekretär und Verbündeten Lindner zugeschrieben werden darf, lässt sich von außen kaum beurteilen. Möglicherweise gab es hier bereits Differenzen, die zur teilweisen Entzweiung der politischen „Boygroup“ geführt haben. Sollte das der Fall sein, könnte eine mögliche Differenz im Umgang mit der Mitgliederbefragung eine endgültige Vergraulung Lindners erklären.
Verfolgen wir eine zweite Spur, die man nicht unbeachtet lassen darf. Böse Zungen werfen Christian Lindner Illoyalität vor. Er distanziere sich jetzt, wo es ungemütlich wird, von der Parteispitze. Die TAZ drückt es in der Headline etwas positiver aus und schreibt: „Der Klügere geht zuerst.“ Man kann nicht ganz von der Hand weisen, dass Lindners Entscheidung, das sinkende Boot zu verlassen, bevor es untergeht, auch als eine persönlich kluge Entscheidung gewertet werden kann. Andererseits stellt sich dann die Frage, wo die Insel ist, auf die er sich angeblich retten will. Da muss sich Lindner zumindest auf eine Durststrecke einstellen.
Die Suche nach den wahren Gründen hellte sich auf mit Bekanntmachung des neuen FDP-Generalsekretärs Patrick Döring. Sowohl das langjährige enge Verhältnis zum Parteichef Rösler als auch die Art und der Charakter, mit dem sich der Neue präsentiert, lässt tief blicken. Ebenso die Geschwindigkeit, mit der Döring aus dem Hut gezaubert wurde, weist darauf hin, dass Rösler und Lindner bereits Differenzen miteinander hatten. Wenn es nun Döring, ein Mann, der ziemlich genau das Gegenteil von Lindner darstellt, richten soll, dann liegt es nahe, dass Lindners Auftreten als zu leise, zu philosophisch, zu sachlich empfunden wurde. Da kann man sich kritische Gespräche zwischen den langjährig befreundeten Weggefährten Rösler und Döring über ein anderes, aggressiveres und populistischeres Gebaren sehr gut vorstellen – Vorstellungen, die ein Typ vom Schlage Lindner natürlich nicht umsetzen kann. Ich glaube, dass hier die eigentliche Ursache für den Druck zum Rücktritt verborgen liegt.
Vor diesem Hintergrund kann man Lindners kurzes Statement sehr viel besser verstehen, als die Presse gemeinhin annimmt. Lindner sagte unter anderem:
„Es gibt den Moment, in dem man seinen Platz freimachen muss, um eine neue Dynamik zu ermöglichen. Die Ereignisse der letzten Tage und Wochen haben mich in dieser Einschätzung bestärkt. Meine Erkenntnis hat für mich zur Konsequenz, dass ich aus Respekt vor meiner Partei und vor meinem eigenen Engagement für die liberale Sache mein Amt niederlege. Dadurch ermögliche ich es dem FDP-Bundesvorsitzenden Philipp Rösler, die wichtige Bundestagswahl 2013 mit einem neuen Generalsekretär vorzubereiten und damit auch mit neuen Impulsen für die FDP zu einem Erfolg zu machen.“
Bleibt zum Schluss eine traurige Bewertung des Ganzen. Offenbar gilt nach wie vor, wer in der Politik erfolgreich sein will, muss auf die Tonne hauen und sich für keinen Populismus zu schade sein. In seiner Zeit als Generalsekretär unter Westerwelle war Lindner als ein gewisser Ausgleich zu seinem Pauken schlagenden Chef der richtige Mann. Doch mit Rösler ist das Team an der Spitze der Partei in der Summe scheinbar zu leise. Das Ereignis zeigt einmal mehr, dass jedes Volk die Politiker hat, die es verdient. Zumindest gilt das für die demokratische Mehrheit des Volkes. Für die sachlichen Argumente eines – wie ich meine – glaubwürdigen, klugen und verantwortungsvollen Christian Lindner ist unser System leider wenig empfänglich. Vielleicht ist Lindner – so bleibt meine Hoffnung – aber auch nur das Opfer einer desolaten und orientierungslosen Partei. In seinem Falle hoffe ich jedenfalls, dass er nur „vorerst gescheitert“ ist.