Ist eine Staatsverschuldung jetzt sinnvoll?

Die aktuelle Diskussion über den neuen Bundeshaushalt verläuft erwartungsgemäß kontrovers. Die meisten der verschiedenen Argumente sind zwar nur für sich genommen richtig. Doch nur auf der Basis einer Gesamtschau lässt sich ein ausgewogenes Bild zeichnen. Das Thema ist komplexer, als viele glauben. Es gibt plausible Pros wie Contras. Im Folgenden versuche ich in aller Kürze und Verständlichkeit, die wichtigsten Aspekte zu beleuchten:

  1. In einem Staatshaushalt müssen die Ausgaben stets gedeckt sein. In ihrer einfachsten Form werden sie begrenzt durch die Höhe der Einnahmen. Reichen die Einnahmen – vornehmlich durch Steuern – nicht für alle gewünschten Maßnahmen aus, muss man versuchen, entweder die Einnahmen durch Steuererhöhungen zu steigern oder notfalls verzichtbare Ausgaben zu kürzen. Beides geht nicht, ohne zumindest Teile der Bevölkerung zu verärgern.
  2. Sowohl Steuererhöhungen als auch Ausgabenkürzungen an der falschen Stelle können auf Kosten der Wirtschaftskraft beziehungsweise der öffentlichen Ordnung gehen. Beides hätte negative Folgen für große Bevölkerungsteile. Im Falle von Sonderinteressen sieht das anders aus, stößt dort allerdings meist auf gut organisierte Lobbys.
  3. Eine einfachere Möglichkeit für die Politik, unbeliebte Ausgabenkürzungen sowie Steuererhöhungen zu vermeiden, besteht in der Aufnahme von Staatsschulden. Auf diese Weise werden konkrete Belastungen vernebelt und gefürchtete Verteilungskämpfe zunächst vermieden.
  4. Doch man muss bedenken, dass auch bei einer öffentlichen Verschuldung der aufgenommene Betrag nicht nur irgendwann getilgt werden muss, sondern auch jedes Jahr Zinszahlungen erfordert, die den Staatshaushalt mitunter über viele Jahre belasten.
  5. Der Schuldendienst (Tilgung + Zinsen) des Staates, der wie alles andere eben auch aus dem jährlichen Haushaltsetat bestritten werden muss, gefährdet somit in den Folgejahren die Möglichkeiten, andere Bereiche ausreichend zu finanzieren, womit sich der Verteilungskampf wieder fortsetzt.
  6. Schulden aufzunehmen, ist deshalb nur dann vernünftig, wenn man erstens weiß, dass und wie man den Schuldendienst bedienen kann, ohne andere wichtige Bereiche der Staatsaufgaben zu vernachlässigen. Ist das nicht der Fall, ist ein dynamisches Fortschreiten der Verschuldung vorprogrammiert. Der Gestaltungsraum der Politik wird dadurch immer enger – und zwar unabhängig davon, wer gerade regiert.
  7. Der beste Grund für eine Verschuldung des Staates ist eine echte Investition im Bereich ureigentlicher staatlicher Aufgaben, die unter dem Strich für den Großteil der Gesellschaft über einen langen Zeitraum gegebenenfalls sogar Generationen mehr Vorteile verspricht als der zur Finanzierung notwendige Schuldendienst im Endeffekt kostet. Das trifft typischerweise zu auf wichtige langlebige Infrastrukturprojekte für Energie, Verkehr, Internet sowie zur Garantie der Erledigung hoheitlicher Aufgaben der Legislative, Judikative und Exekutive inklusive Landesverteidigung.
  8. Sollte eine Verschuldung notwendig sein, um einer innovativen Ansiedlung oder Umstrukturierung einer Branche oder sogar nur bestimmten Unternehmen direkt zu dienen, so stellt sich zunächst die Frage, woher Politik und Administration zielsicher wissen können, welche Technologien subventioniert werden sollten oder gar müssten? Maßt sich der Staat diese unternehmerische Kompetenz leichtfertig an, kann das schnell zu einer Verschwendung von Steuergeldern führen, die an anderer Stelle sinnvoller hätten eingesetzt werden können.
  9. Subventionen zur Erhaltung von überkommenen Unternehmen und Industrien ist in der Volkswirtschaftslehre im Allgemeinen ohnehin verpönt. Das gilt erst recht, wenn sich der Staat dafür verschulden muss. Lediglich zur Abmilderung von schwerwiegenden sozialen Folgen, ist eine zeitlich klar begrenzte Unterstützung zu rechtfertigen.

Es gibt noch einige verzweigte Argumentationsketten mehr, die ich an dieser Stelle nicht vollständig diskutieren kann. Zu bedenken sind allerdings bei einer Staatsverschuldung stets auch die Verteilungseffekte. Wenn der Staat sich beim Privatsektor etwa durch Staatsanleihen verschuldet, muss er dies zwangsläufig bei denjenigen tun, die Geld übrighaben, also bei den Reicheren oder jedenfalls den Besserverdienenden. Das erhöht tendenziell deren Kapitaleinkommen und Vermögen. Was diese mit ihren Renditen anstellen, bleibt hingegen aufgrund der Eigentumsrechte ihnen überlassen. Sofern sie in den Ausbau der inländischen Wirtschaft, Innovationen und Arbeitsplätze investieren, profitiert unter Umständen auch der ärmere Teil der Gesellschaft davon. Garantiert werden kann das in einer globalen Wirtschaft natürlich nicht. Werden die Renditen hingegen konsumtiv von den Gläubigern verwendet oder im Ausland angelegt, so kann die inländische Gesamtbevölkerung bestenfalls nur indirekt von den 25-prozentigen Steuereinnahmen für Kapitalerträge einen Teilnutzen daraus ziehen.

Es besteht prinzipiell noch eine dritte Variante zur Vermeidung oder Verringerung der Staatschulden, die auch der weltweit renommierte Ökonom Thomas Piketty als eine effektive Möglichkeit zur Schuldenreduzierung nennt: Über wenigsten zwei oder drei Jahre sehr große Vermögen mit einem geringen Prozentsatz zu besteuern. Des Weiteren könnte die Übertragung von größeren Vermögen durch eine strengere Erbschaftssteuer wieder Spielräume für den Staatshaushalt bringen. Hierfür spräche auch die wachsende Schere zwischen Arm und Reich. Im Fall der Erbbegünstigten ist diese Art der individuellen Bereicherung ohnehin nicht auf die Leistung der Erben zurückzuführen, sondern ein reiner Glücksfall. Das Problem einer pauschal geltenden Erbschaftssteuer liegt allerdings in der fehlenden Differenzierung von kapitalgebundenem Vermögen von vererbten Unternehmen, die man zum Teil in Existenznöte bringen würde. Hier eine kluge Lösung zu finden, wird allgemein als äußerst schwierig eingeschätzt.

Fazit: Die Entscheidungssituation für eine Verschuldung ist komplex und wird von weiten Teilen der Bevölkerung verständlicherweise nicht vollständig durchdrungen. Nicht einmal Ökonomen kommen zu einer einheitlichen Empfehlung. Eines lässt sich jedoch bei näherem Hinschauen kaum übersehen: Verschuldung ist ein beliebtes Mittel zur Verdrängung aktueller Probleme in die Zukunft, nach dem Motto. Die Tatsache, dass man durch Verschuldung das Problem in nachkommende Generationen und Regierungen verlegen kann, denen man vielleicht nicht mehr angehören wird, ist verführerisch, weil es die wichtige Einheit von Entscheidung von und Haftung zerstört – ein inhärentes Problem der Demokratie.

Neben vorausschauenden Investitionen in Infrastruktur, Umwelt und Sicherheit kann auch in unvorhersehbaren Notlagen eine Staatsverschuldung unvermeidbar sein. Ihr muss aber selbst dann ein glaubhafter Plan für den Schuldendienst zugrunde liegen. Und da stellen sich dieselben Probleme und Fragen nach den zukünftigen Lasten und ihrer Verteilung erneut. Die Gefahr einer Schuldenspirale liegt deshalb nahe. Historisch betrachtet hat diese die Finanzpolitik der Bundesrepublik über Jahrzehnte geprägt. Die Einführung der Schuldenbremse sollte die unheilvolle Schuldenspirale stoppen. Sie ist deshalb kein Gesetz, das man wieder leichtfertig aufweichen darf. Außerdem liegt es auf der Hand, dass man die Schuldenquote nicht permanent auf Kante fahren sollte, damit man in einer solchen Notlage noch ausreichenden Spielraum besitzt. Ob eine Aufhebung oder Milderung der Schuldenbremse aktuell leicht- oder gerechtfertigt wäre, hängt letztendlich von den Antworten auf die Frage ab, ob wir uns erstens tatsächlich in einer unvorhersehbaren Notsituation befinden, die absehbar enden wird, und ob zweitens die oben genannten Alternativen nicht die besseren Alternativen sind. Eine weitere Verschuldung ist keine endgültige Lösung als vielmehr nur ein Aufschub der Probleme. Darüber jedenfalls sollte man sich im Klaren sein.

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