Schluss mit Schwarzfahren

Die ÜSTRA–Hannoversche Verkehrsbetriebe AG hat sich jüngst in ihrer öffentlichen Kommunikation von dem Begriff „Schwarzfahren“ getrennt, weil er auf schwarzhäutige Menschen despektierlich wirken könnte. Ist das vorbildlich? Meines Erachtens nicht, weil die Aktion bestenfalls zur Kategorie „gut gemeint, aber schlecht durchdacht“ gehört.

Früher bezeichnete man das Fahren mit der Straßenbahn ohne Ticket als Trittbrettfahren. Dieses Wort hatte einen empirischen Hintergrund. Die „Personen ohne gültigen Fahrausweis“ – wie es nun politisch korrekt bei der ÜSTRA heißt – schwangen sich nach Anfahrt der Straßenbahn auf deren außenliegendes Fußtrittbrett, um dort wenigstens bis zur nächsten Station mitzufahren. Das war nicht legal, nicht bequem und auch nicht ganz ungefährlich. Aber für arme Menschen oft die einzige Möglichkeit, die Vorzüge moderner Fortbewegungsmittel zu genießen. Viele jüngere Menschen kennen, wie ich feststellen musste, den Ursprung dieses Wortes nicht mehr und denken dabei eher an Skateboardfahren.

So verhält es sich wohl auch mit dem Begriff Schwarzfahren. Doch man sollte wissen, dass die Entstehungsgeschichte des Begriffs Schwarzfahren keinen rassistischen Hintergrund hat, sondern sich ableitet von dem jiddischen Wort „shvarts“, was schlicht „arm“ heißt. Schwarzfahrer sind demnach Menschen, die sich kein Ticket leisten können und das dann auf illegale Weise lösen. Genau genommen heißt Schwarzfahren also Armfahren. Despektierlich gegenüber Armen? Eigentlich schon, zumindest wenn die ursprüngliche Bedeutung des Wortes allgemein bekannt wäre. Doch die Eliminierung des gebräuchlichen Begriffs Schwarzfahren wird nicht etwa vom Paritätischen Wohlfahrtsverband oder ähnlichen sozialen Organisationen begrüßt, sondern von der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland (ISD), und zwar mit der Begründung, dass hier Schwarz für etwas Negatives stehe. Ob mit der Verbannung des Begriffs jiddischer Herkunft, der schließlich auch ein Dokument deutsch-jüdischer Kultur ist, sich wiederum der Zentralrat der Juden einverstanden erklären kann, bleibt abzuwarten. Ein Schelm, wer erwartet, dass dem Säuberungsakt der ÜSTRA am Ende eine versteckte antisemitische Haltung unterstellt wird. Da kann es schon kompliziert werden mit der politischen Korrektheit!

Wie dem auch sei: Einverstanden, da gibt es Menschen mit schwarzer Hautfarbe, die sich möglicherweise angegriffen von diesem Begriff fühlen, weil dessen originäre Bedeutung nicht allgemein bekannt ist, und das Wort deshalb (versteckte) rassistische Vorurteile bedienen könnte. Das will gewiss niemand, der oder die gegen jeglichen Rassismus ist. Aber müssen wir jedes Mal solche Säuberungsaktionen durchführen und damit die Sprache sogar wider besseres Wissen zensieren? Wäre es nicht viel besser, darüber aufzuklären und auf diesem Weg auch für ein bisschen mehr Geschichtsbewusstsein zu sorgen? Für die ISD und die ÜSTRA war es unerheblich, welche Ursprungsbedeutung das Wort hat. Was allein für sie zählt, ist, was Menschen sich dabei denken könnten, gleichgültig aus welchen Gründen. Diese Überlegungen sind mir zwar als Berater und Autor öffentlicher Kommunikation nicht fremd. Doch ich weiß auch, dass es immer mehrere Optionen gibt, Missverständnisse zu vermeiden. Und da sollte man sich diejenige heraussuchen, die aufklärt und nicht diejenige, die willfährig dem aktuell größten politischen Druck nachgibt. Das wäre in meinen Augen vorbildlich.

Allein mit der Logik „könnte-man-falsch-verstehen oder interpretieren“ müssten wir willkürlich einige Elemente unserer Sprachtradition aufgeben, ohne damit irgendeine Aufklärung zu verbinden. Was dem aktuellen Fall zur negativen Assoziation mit der Farbe Schwarz entspräche, sind zum Beispiel die Worte „Schwarzgeld“, „Schwarzmarkt“ oder „Schwarzmalerei“. Die Redewendung „sich schwarz ärgern“ könnte einem ebenfalls plötzlich rassistisch erscheinen. Selbst die Bezeichnung für bedrohliche Masseverdichtungen im Weltall, sogenannte „schwarze Löcher“, könnten mit dem zweifelhaften inquisitorischen Scharfsinn als negative Assoziation gedeutet werden. Es gibt gewiss noch einige Beispiele mehr. Und man wird es nicht bei der Aussortierung von schwarz belassen, sondern auch noch weitere verdächtige Begriffe finden.

Bei alledem muss die Frage erlaubt sein, ob man sich im Kampf gegen Rassismus nicht besseren und effektiveren Methoden bedienen müsste. Wenn man ehrenwerterweise gegen unberechtigte Vorurteile angehen will, hilft nach meiner Überzeugung nur Aufklärung und ein vernunftorientierter Diskurs. Der Kampf gegen möglicherweise belastete Begriffe ist nur oberflächlich und schwach begründet. Er wird niemanden überzeugen, der vom rassistischen Irrglauben abgebrachte werden soll. Bekennende Rassisten wird es sogar noch ermutigen, Schwarze als Feinde unserer Kultur zu diffamieren. Anhänger der offenen Gesellschaft, die ohnehin gegen Rassismus sind, sehen sich ungerechtfertigt angegriffen, und gebildete Menschen empören sich über die Bevormundung durch eine Dominanz der geschichtlichen Bildungsarmut. Und schließlich fühlen sich auch die sozial Abgehängten unserer Gesellschaft mit ihren existenziellen Problemen ignoriert.

Um Missverständnissen vorzubeugen – die bei diesen Themen eher die Regel als die Ausnahme sind – möchte ich betonen, dass ich keinesfalls behaupten will, dass das Leben als Schwarzhäutiger in Deutschland keine handfesten Probleme mit sich bringen kann und wohl auch häufig tut. Doch eine Sprachpolizei, die nicht einmal Wert auf die wahre Bedeutung der Worte, die sie anprangert, legt, verändert keine Gesinnungen und erzeugt keine Weltoffenheit. Stattdessen zerstört sie in ihrem übereifrigen Aktionismus mehr als sie sich vorstellen möchte, nicht zuletzt – wie auch im vorliegenden Fall – deshalb, weil sie erst Assoziationen ins Bewusstsein der Menschen setzt, die bei den meisten bislang gar nicht dort verankert waren. Ein wahrer Bärendienst.

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