Ein repräsentativer Bundespräsident in einer repräsentativen Demokratie

Jetzt haben wir auch ganz offiziell ein neues Staatsoberhaupt. Frank-Walter Steinmeier wurde heute, am 22.03.2017 vereidigt. Ich erinnere mich nicht, ob damals 2012, als Joachim Gauck verfassungsgemäß von der Bundesversammlung gewählt wurde, auch schon Stimmen nach einer Direktwahl, in welcher das Staatsoberhaupt vom Volk gewählt wird, laut wurden. Wenn ja, erschien das zu dieser Zeit vielleicht noch in einem etwas anderen Licht als nach den Erfahrungen des letzten Jahres 2016, dem Jahr der zwei demokratischen Unfälle (Brexit und Trump). Es hat deutlich gezeigt, dass man noch kritischer mit solchen Forderungen umgehen muss. Zwischen einer stabilen Demokratie, wie wir sie schätzen gelernt haben, und einem populistischen System bestehen eben erhebliche Unterschiede, auch wenn beide Begriffe sich auf das „Volk“ (griechisch: demos; lateinisch: populus) beziehen. Abgesehen davon hat sich an den grundsätzlichen Argumenten gegen eine Direktwahl ohnehin nichts geändert.Steinmeier war eine gute Wahl

Die Wahl des neuen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier war eine gute Wahl, auch wenn sie oder gerade weil sie – wie üblich – das Ergebnis vorheriger Absprachen zwischen den maßgeblichen Parteien war. Steinmeier steht voll in der Tradition idealistischer, weiser und erfahrener Politiker, die zumindest im Alter einen ausgleichenden Charakter besaßen und sich stets als Hüter von Frieden, Rechtsstaatlichkeit, Gerechtigkeit und Solidarität sahen. Man denke nur an Heuss, von Weizsäcker, Rau, Herzog und Gauk. Dennoch empörten sich nun verschiedene Bürger und Gruppierungen darüber, dass es wieder eine verabredete Präsidentschaftswahl war, die einer Demokratie angeblich nicht würdig sei. So war etwa vom Mitkandidaten und Ex-TV-Richter Alexander Hold, der die wenigsten Stimmen von allen Kandidaten bekam, zu hören, viele Bürger hätten ihn und nicht Steinmeier gewählt, wenn sie denn gefragt worden wären. Es könne nicht richtig sein, dass das Staatsoberhaupt im Hinterzimmer von drei Parteivorsitzenden ausgelobt werde. So etwas produziere Vertrauensverlust und Politikverdruss. Man müsse endlich die Verfassung ändern. Hat er Recht?

Nein, der von Einschaltquoten verwöhnte Alexander Hold sollte es eigentlich besser wissen. Seine flache Argumentation passt eher zu einem frustrierten Verlierer als zu einem Juristen, der den Hintergrund für dieses Verfassungsgesetz kennen sollte. Der direkte Wille des Volkes darf hier aus gutem Grunde nicht heraufbeschworen werden. Wer es gerade in diesen Zeiten tut, erweist der Demokratie einen Bärendienst.

Kein Führungsamt der Exekutive

Unsere repräsentative Demokratie ist ein ausgeklügeltes System der Machtverteilung und Machtbeschränkung. Es wurde von den Gründervätern der Bundesrepublik nicht zuletzt vor dem Hintergrund der populistischen Exzesse der Nationalsozialisten entworfen. Die Institution des Bundespräsidenten gilt darin zwar als das höchste Amt im Staat, ist aber keiner der drei Gewalten zugeordnet und schon gar nicht als Führungsamt der Exekutive angelegt. Dafür ist das Amt der Bundeskanzlerin beziehungsweise des Bundeskanzlers vorgesehen. Sollte das Volk nun den Präsidenten direkt wählen, was nach Meinung Holds und anderer Kritiker die demokratische Kultur und Dynamik fördere, dann wäre damit natürlich automatisch die Erwartung verbunden, dass sich der vom Volk direkt legitimierte Präsident in die Tagespolitik handfest einmischt. Doch genau das darf eben nicht passieren. Statt dessen soll die Amtsausübung des zur Überparteilichkeit Verpflichteten repräsentativ, Sinn stiftend und integrativ sein. Sie stellt damit ein ausgleichendes Pendant zur Bundeskanzlerschaft dar. Eine Direktwahl würde diese klare und sinnvolle Aufgabentrennung durcheinander bringen, falsche Erwartungen enttäuschen und genau denjenigen Politikverdruss verstärken, den die Befürworter einer Direktwahl der Bundesversammlung und dem vorangehenden Einigungsprozess zuordnen.

Anspruch auf einen breiten Konsens

Auch wenn der Bundespräsident formal alle vom Bundestag beschlossenen Gesetze unterschreiben muss, was er de facto nur in absoluten, gut begründeten Ausnahmefällen verweigern könnte, so wurde ihm darüber hinaus ganz bewusst keine politische Macht zugesprochen, außer der des Wortes. Und wann immer unser Staatsoberhaupt das Wort ergreift, sollte es stets ausgewogen sein und die Ideale und hehren Ziele unserer freiheitlichen und toleranten Gesellschaft in sich tragen. Es ist deshalb gut, wenn zwischen den Parteien in den Hinterzimmern ein breiter Konsens ausgehandelt wird, mit dem eine große Mehrheit leben kann. Das ist bislang auch immer gut ausgegangen, außer vielleicht im Falle Wulff, der bezeichnenderweise von Merkel durchgedrückt wurde. Wenn also die Direktwahl trotz der vielen positiven Erfahrung mit der geltenden Regelung eine Verbesserung sein soll, so dürfte man den Anspruch auf einen hohen Konsens zwischen den politischen und gesellschaftlichen Lagern auf keinen Fall aufgeben. Das würde konkret bedeuten, dass ein Sieg mindestens bei einer zwei Drittel Mehrheit und sehr hoher Wahlbeteiligung und nicht bei 51% und geringer Teilnahme erreicht wäre, was wiederum bei einer Direktwahl insbesondere mit mehr als zwei Kandidaten eine ziemlich unrealistische Annahme ist und außerdem das Problem der Aufgabentrennung nicht beseitigen würde.

Man sieht, nur wenige Überlegungen führen zu der Einsicht, dass eine solche Direktwahl einen weiteren überflüssigen Wahlkampf zwischen den Parteien hervorrufen würde und sowohl die Autorität der Bundeskanzlerin/des Bundeskanzlers als auch der Bundespräsidentin/des Bundespräsidenten beschädigen würde. Lassen wir besser die Kirche da, wo sie ist, nämlich im Dorf, erfreuen wir uns auch weiterhin an entspannten, erhabenen und weisen Präsidentinnen und Präsidenten und gehen wir nicht den Parolen eines eitlen Kandidaten auf den Leim, dessen Erfolg sich ansonsten an Einschaltquoten bemisst.

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