Mehr Demut statt Panik vor hohen Energiepreisen

Die Panik vor enorm wachsenden Energiepreisen, insbesondere Gaspreisen, wächst in der deutschen Bevölkerung. Ist sie berechtigt? Ja und nein. Ja, weil es durchaus wahrscheinlich, wenn nicht gar schon sicher, ist, dass es zu einer schwerwiegenden Mehrbelastung von Haushalten, Gewerbe und Industrie kommen wird. Nein, weil es absehbar war, dass wir auf kurz oder lang mit einem solchen Szenario rechnen mussten.

Es hätte nicht einmal eines Angriffskrieges Russlands bedurft. Putin hätte die energiepolitische Waffe auch jederzeit ohne diesen einsetzen können, um Deutschland und Europa im Sinne seiner machtpolitischen Ziele zu erpressen. Es gab darüber hinaus seit langem klimapolitische Gründe, die einer nachdrücklicheren Energiewende bedurft hätten. Doch Deutschland, unter maßgeblicher Führung der christdemokratischen und sozialdemokratischen Parteien, hat es lange versäumt, sich rechtzeitig auf eine nachhaltige, stark diversifizierte oder gar autonome Energieversorgung vorzubereiten. Deswegen wäre jetzt Demut angemessener als Panik. Und zwar – so fair muss man sein – nicht nur in der Politik, sondern auch auf Seiten der Wirtschaft und ebenso der gesamten Gesellschaft. Alle drei haben in stillem Einvernehmen gemeinsam auf dem Vulkan getanzt.

Jetzt, wo der Vulkan ausgebrochen ist, wäscht jeder Tanzpartner seine Hände in Unschuld. Die CDU kritisiert ausgerechnet die Grünen, deren Forderungen nach einem schnelleren Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen sie während der Merkel-Ära lange verweigerte. Die Linke sieht traditionell den schwarzen Peter bei der Wirtschaft und glaubt naiver Weise noch immer, man könne das Problem lösen, indem man den Energieversorgern einen Preisstopp verpasst. Die Energieversorger wiederum verweisen darauf, dass zu wenig Verbraucher bereit waren, den Aufpreis für Öko-Energie zu zahlen. Und der große Teil der Bevölkerung sieht sich für das Thema gar nicht zuständig und meldet sich nur dann lautstark zu Wort, wenn die Energiepreise steigen, wobei viele Bürgerinnen und Bürger entweder der Politik ideologische Übertreibungen oder den Energieversorgern blanke Gier unterstellen und mit dieser einfachen „Wahrheit“ ihre eigene Weste weiß halten.

Machen wir uns nichts vor. Wir haben uns einen Teil der Wohlstandssteigerungen der letzten Jahrzehnte mit der Energieabhängigkeit von totalitären Staaten und der Zukunft nachfolgender Generationen erkauft. Jetzt werden wir zur Kasse gebeten. Wir stehen vor einer Situation, wie jemand, der längere Zeit seine Rechnungen nicht bezahlt hat, alle Mahnung in einer geduldigen Schublade verschwinden ließ und plötzlich in Panik gerät, als der Gerichtsvollzieher vor der Tür steht. Was im Kleinen zu typisch menschlichen Verdrängungsprozessen führt, findet auch im Großen, der Gesellschaft, statt. Niemand will die Verantwortung für Fehlentwicklungen übernehmen. Jeder schönt sein Selbstbildnis mit den drei typischen moralischen Rechtfertigungsstrategien, die Richard David Precht in seinem Buch „Die Kunst, kein Egoist zu sein“ so treffend identifiziert hat: Kritikern wird die Berechtigung zur Kritik abgesprochen, weil sie selbst nicht ohne Fehler seien; man zeigt mit dem Finger auf noch schlimmere Sünder; oder leugnet die eigene Zuständigkeit und Selbstwirksamkeit. So bleibt man vor sich selbst – und vielleicht auch vor manch anderen – moralisch sauber, ohne etwas dafür tun oder opfern zu müssen.

Tatsache ist, dass jeder von uns eine gewisse Mitschuld am gegenwärtigen Zustand trägt. Wir sind alle Teil eines sozioökonomischen Systems und stützen es täglich in der ein oder anderen Weise. Obwohl es bezüglich des Ausmaßes und der Vorsätzlichkeit große individuelle Unterschiede gibt, sollte man sich nicht länger mit Prechts drei trickreichen Ausreden aus der Verantwortung stehlen und stattdessen jetzt alles tun, wozu man in der Lage ist, um die Fehler der Vergangenheit zu korrigieren. Statt mit Panik zu reagieren, wäre es angemessener, sich in Demut zu üben und endlich seinen Teil der Verantwortung zu übernehmen. Hierzu gehört auch, unvermeidbare Kostensteigerungen für Energie in Kauf zu nehmen und mit maximalem Einsatz, den eigenen Energieverbrauch so weit wie möglich zu senken, was gleichzeitig auch die Kosten reduziert.

Wenn der Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz Habeck offen anspricht, dass jede Energieeinsparung, eben auch von privaten Haushalten, jetzt wichtig sei, hat er recht. Wir werden dem Dilemma, in das wir uns systematisch miteinander reingedreht haben, auch nur in gemeinsamer Anstrengung wieder entfliehen können. Anstatt dem Staat die Pflicht zuzuschreiben, alles zu tun, damit man so weitermachen kann wie bisher, gilt es, mehr Verantwortung für sich und die Gesellschaft zu übernehmen – und zwar jeder in dem Maß, wie es finanziell möglich und der Energieverbrauch reduzierbar ist. Vergessen darf man dabei allerdings nicht, dass ein Teil der Bevölkerung kaum Möglichkeiten hat, weil er bereits am Existenzminimum lebt. Ihm kann man nicht mehr Opfer abverlangen als das, sich mit dem Energieverbrauch auch dann zurückzuhalten, wenn der Staat im Rahmen der Sozialgesetzgebung die Wohnkosten übernimmt.

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