Verkehrte Welt: Der neue Kim

Was ist das denn? Gestern noch der böse diktatorische Raketen-Mann, der die ganze Welt bedroht und der in dritter Generation für eine widernatürliche Staatentrennung steht, ist plötzlich und unerwartet an einer Versöhnung der beiden koreanischen Länder interessiert und präsentiert sich geradezu sympathisch als verantwortungsvoller und offenherziger Außenpolitiker. Kann man sich denn auf gar nichts mehr verlassen? Erst verlässt Großbritannien die Allianz der guten Welt. Dann wählt unser befreundetes Amerika einen Mann zum Präsidenten, der sich so benimmt, wie man es bislang nur von durchgeknallten Staatsoberhäuptern irgendwelcher Schurkenstaaten kannte. In der Zwischenzeit entwickelt sich die Türkei zurück in eine Diktatur. Und jetzt verwandeln sich die Bösen auch noch in Gute.

Ein bisschen fühle ich mich wie in einer griechischen Tragödie. Der kleine Mensch versteht einfach nicht, was die Götter im Olymp für Spielchen treiben. Doch der Mensch, so klein und unbedeutend er auch sein mag, braucht Erklärungen – mögen sie richtig sein oder nicht. Und so will ich mal den Versuch unternehmen, mir einen Reim darauf zu machen. Eine Erklärung, die häufig zu hören ist, lautet, dass der nordkoreanische Machthaber Kim Jong-un eingeknickt sei, weil sein Land aufgrund der Handelssanktionen wirtschaftlich am Ende sei. Das mag im ersten Moment plausibel klingen, ist es meines Erachtens aber nicht. Erstens hat das bislang noch keinen Vertreter seiner Familiendynastie zu einem solchen Schritt bewegt, selbst dann nicht, wenn die Menschen verhungert sind. Zweitens hätte es auch gereicht, das Nuklearprogramm zu stoppen, um eine Lockerung der Sanktionen zu erreichen. Warum müsste er auch noch auf Südkorea zugehen?

Um die Götter und ihr verrücktes Treiben zu verstehen, muss man vielleicht mal um die Ecke denken. Die Geschwindigkeit und Zielstrebigkeit, mit der Kim plötzlich, kurz nachdem er der Welt gezeigt hat, dass man ihn fürchten muss, die Versöhnungsinitiative ergreift, ist für mich zunächst einmal ein Indiz dafür, dass er das von langer Hand geplant hat. Das wiederum legt den Schluss nahe, dass die Entwicklung einer einsatzfähigen Nuklearwaffe und das Friedensangebot keine widersprüchlichen Handlungen sind, sondern in einem geplanten Zusammenhang stehen. Nehmen wir einmal an, Kim, der in der Schweiz zur Schule gegangen ist, führte von Anfang an eher Gutes im Schilde und verfolgt das Ziel, die Jahrzehnte währende Isolation seines Landes zu beenden, ohne allerdings vom Westen überrannt zu werden und persönlich dabei unterzugehen. Dann wäre es klug, diese Initiative aus einer Position der Stärke zu ergreifen. Auf diese Weise entsteht nicht – gleichsam der deutsch-deutschen Wiedervereinigung – das Bild eines gestürzten Diktators, sondern das eines Führers in eine bessere Welt. Und wenn das sein Plan war, musste er als erstes als starker gefürchteter Herrscher auftreten, was ihm mit dem Bau und den Tests der Rakete wohl gelungen ist. Auf diese Weise wahrt er gegenüber der eigenen Nation sein Gesicht und empfiehlt sich international als verantwortungsvoller und Brücken bauender Staatsmann.

Die Zukunft, vielleicht schon die nahe, wird zeigen, ob irgendetwas Wahres an meiner zugegebenermaßen optimistischen These ist. Wenn nicht, werde ich weiter über die Launen der Götter spekulieren müssen.

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