Jogi Löw und Oliver Bierhoff haben nun endlich ihre Analyse zur verpatzten Fußballweltmeisterschaft vorgelegt. Doch danach war man genauso schlau wie vorher. Der eindrucksvollste Satz von Löw war wohl der, als er die an Arroganz grenzende Haltung des deutschen Teams selbstkritisch anmerkte. Und Bierhoff tat es ihm gleich, als er ein wenig reumütig das Wort „selbstgefällig“ benutzte. Glaubwürdig? Nein! Die beiden wirkten nur oberflächlich geläutert. Sie sagten dem Fußballvolk lediglich das, was es hören wollte. Wer gewohnt ist, mit riesigen Beraterstäben zu arbeiten, der lässt sich natürlich auch vor einem solchen öffentlichen Statement ausführlich briefen. Und so klang es auch. Auf mich wirkte das wie ein vorgegaukeltes „Ich sehe das auch so wie Ihr, wir haben verstanden, ab sofort machen wir alles besser“.
Aber es wurden auch handfeste Maßnahmen ergriffen. So wurde das aufgeblähte Spezialistenteam um elf Leute verkleinert. Unter den Geschassten waren allerdings auch Teammitglieder wie Müller-Wohlfahrt, die aus Altersgründen ohnehin gegangen wären. Geblieben sind hingegen alle Hauptverantwortlichen. Eine alte Weisheit aus dem Bereich des Kartenspiels findet hier einmal mehr ihre Bestätigung: Wer schreibt, der bleibt! Oder allgemein gesprochen: Wer den Bleistift spitzt, wird sich nicht selbst wegradieren.
Egal ob man Löw und Bierhoff mag oder nicht, hier überschreitet man Grenzen der Selbstkontrolle. Das Erschreckende: Diese Haltung ist symptomatisch für Manager, Politiker und Führungskräfte unserer Zeit. Man sollte sich vielleicht einmal wieder an das ethisch korrekte Protokoll für solche Situationen erinnern:
- Wer mit ehrgeizigen Zielen antritt und hohe Erwartungen schürt, der muss vom Amt zurücktreten, wenn er am Ende weit danebenliegt. Alles andere beruht auf Privilegien, die einem in einer solchen Rolle nicht zustehen.
- Überall, wo in unserer Gesellschaft viel Geld verdient wird, geschieht dies mit dem Argument der Leistungsgerechtigkeit. Wieso bekommen dann Bundestrainer und Teammanager, die sehr gut bezahlt werden, bereits kurz vor der Weltmeisterschaft, in der sie sich jedes Mal erneut beweisen müssen, eine Blanko-Vertragsverlängerung?
- Wer viel Geld für Berater ausgibt, darf erwarten, dass so ein Debakel wie mit Özil nicht passiert. Das war vorhersehbar und hätte vermieden werden können. Das Argument von Löw, man habe das unterschätzt, spricht nicht für seine Professionalität, beziehungsweise für die seiner Berater.
In der Pressekonferenz zur Selbstanalyse haben Löw und Bierhoff immer wieder auf die Erfolge der Vergangenheit hingewiesen. Erfolge sprechen natürlich für sich. Aber genauso verhält es sich mit Niederlagen. Beides muss mit derselben Logik beurteilt werden: Wer gewinnt, wird gefeiert, wer verliert wird gefeuert. Ein gutes Prinzip, das Entscheidung, Verantwortung und Haftung miteinander verbindet. Gerade im Fußball ist das eine absolut gängige Praxis, die aber in der Nationalmannschaft scheinbar keine Beachtung mehr findet. Wenn man, wie im Falle Löw-Bierhoff, aber für geschützte Räume sorgt, muss man sich nicht wundern, wenn ein Wohlfühl-Biotop entsteht, in dem zwar alle den Erfolg wollen, aber keiner mehr alles dafür geben will.
Am Ende muss man sagen, dass es sowohl an der Taktik als auch an der Motivation, alles geben zu wollen, gefehlt hat. Aber wenn jemand dafür verantwortlich war, dann ist es das Duo Löw-Bierhoff. Und da haben sie dieses Mal versagt. Der Verweis auf die 14-jährige Erfolgsgeschichte entschuldigt das natürlich nicht. Man könnte genauso zu bedenken geben, dass gerade auf der Basis dieser reichhaltigen Erfahrung all die eingestandenen Fehler nicht hätten eintreten dürfen. Es gibt eben einen Zusammenhang zwischen langjährigem Erfolg und dem Einbruch einer Erfolgsserie. Die WM 2018 war ein klares Signal dafür, dass dieser Zeitpunkt gekommen ist. Löw und Bierhoff hätten ehrenvoll ihren Hut nehmen müssen. Doch stattdessen haben alle Verantwortlichen die Signale großzügig überhört, um ihre heißgeliebten Jobs weiter betreiben zu können. Wer kündigt sich schon gerne selbst? Dazu gehört echte Größe. Wer dazu nicht bereit ist, von dem kann man auch keine ernst zu nehmende „Selbstanalyse“ erwarten.