Mehr Wert durch Mehrwertsteuer?

Leider erleben wir es allzu oft, dass in der Politik mehrheitsfähige Ziele mit ungeeigneten Mitteln verfolgt werden oder verfolgt werden sollen, so wie im aktuellen Fall zum Thema Tierwohl durch Fleischbesteuerung. Die Massentierhaltung hat schreckliche Gesichter. Darüber besteht kein Zweifel. Bilder vom Transport und der Schlachtung von Rindern, Schweinen und Hühnern, bei denen aus ökonomischen Gründen bestenfalls die niedrigsten gesetzlichen Vorgaben eingehalten werden, sind unerträglich. Doch wenn die Fleischteile sauber zerlegt im Kühlregal liegen, interessiert das die meisten Verbraucher nicht mehr. Das ist wohl menschlich. Unmenschlich ist hingegen die tierische Haltung.

Nachvollziehbar ist deshalb, dass sich jüngst zwei Politiker der SPD und der Grünen in der Absicht, den bestialischen Methoden der Massentierhaltung zu begegnen, für eine höhere Mehrwertsteuer auf Fleisch ausgesprochen haben: „Ich bin dafür, die Mehrwertsteuerreduktion für Fleisch aufzuheben und zweckgebunden für mehr Tierwohl einzusetzen“, sagte Friedrich Ostendorff, agrarpolitischer Sprecher der Grünenfraktion, der Zeitung Die Welt. Und auch Rainer Spiering, agrarpolitischer Sprecher der SPD hält die Anhebung der Mehrwertsteuer für Fleisch für ein geeignetes Mittel zum Tierschutz.

Man muss dazu wissen, dass in Deutschland der übliche Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent für die meisten Lebensmittel auf nur 7 Prozent reduziert ist. Hierdurch soll die Konsumbesteuerung sozialer gestaltet werden. Da im Gegensatz zur progressiven Einkommensbesteuerung jeder ungeachtet seiner finanziellen Möglichkeiten dieselben Steuern pro Euro Einkauf leisten muss, will man im Bereich der Lebensgrundlagen den Einkommensschwachen, die hierfür einen Großteil ihres Budgets – wenn nicht gar ihr gesamtes – aufwenden müssen, möglichst sanft belasten. Währenddessen – so die Idee – werden reichere Bürger, die sich auch viele Produkte aus nicht lebenswichtigen Kategorien leisten, dort mit einem höheren Steuersatz, sprich 19 Prozent, zur Staatskasse gebeten. Ist der Vorschlag, diese soziale Regelung beim Produkt Fleisch zurück zu ziehen, nun ein guter? Nein!

Erstens: Das sogenannte „Non-Affektationsprinzip“ – im Gesetz als „Grundsatz der Gesamtdeckung“ festgeschrieben – verbietet eine Zweckbindung von Steuern. Das ist kein willkürliches, veraltetes Gesetz. Es hat die Funktion zu gewährleisten, dass das Steueraufkommen zur Haushaltsfinanzierung von den jeweils gewählten legislativen Parlamenten immer wieder frei zugeteilt werden kann und nicht im Übermaß an die Entscheidungen früherer Mehrheiten gebunden ist. Spezifische Steueraufkommen von vornherein für besondere Zwecke vorzubestimmen, ist daher in letzter Konsequenz undemokratisch. Wenn daher aber die gegebenenfalls zusätzlichen Steuereinnahmen gar nicht direkt für den Tierschutz reserviert werden können, ist die Verquickung von Tierschutz und Mehrwertsteuererhöhung nicht mehr überzeugend. Außerdem ist es nicht sinnvoll, für jede neue politische Maßnahme eine zusätzliche Einnahmequelle zu erschließen. Mit diesem Prinzip landen wir bei einem riesigen Staatsanteil und einer erdrückenden Bürokratie. Stattdessen sollte man hin und wieder auch mal über die Andersverwendung von Steuergelder nachdenken.

Zweitens: Will man erreichen, dass Nutztiere besser behandelt werden, dann liegt nichts näher als die gesetzlichen Mindeststandards zu verändern. Wozu muss man den Umweg über Steuern nehmen? Wenn alle deutschen Fleischproduzenten in mehr Tierwohl investieren müssten, führt das am Ende zwar ebenfalls zu höheren Endpreise, hilft aber den Tieren ganz direkt. Der Haken: Deutsche Produzenten gerieten mächtig unter Wettbewerbsdruck, da die Standards insbesondere durch andere EU-Länder unterlaufen würden. Vielleicht könnte Deutschland aber auch von höheren gesetzlichen Anforderungen profitieren, indem es sich als Land besonders hochwertiger Fleischproduzenten profilierte. Doch wenn wir dieses unternehmerische Risiko nicht eingehen wollen, bleibt uns nur der Versuch, eine EU-weite Verbesserung anzustreben. Es gibt schließlich neben dem Tierwohl noch andere gute Argumente, an der Viehzucht und dem Fleischkonsum etwas zu ändern: Gesundheit, Klima und Ernährung der Erdbevölkerung. Es ist ohnehin höchste Zeit, die Weichen in der europäischen Agrarpolitik neu zu stellen.

Drittens: Das aktuell proklamierte Ziel ist bekanntlich die Förderung des Tierwohls. Abgesehen von dem oben genannten Argument, dass man Steuern nicht zweckbinden darf, stellt sich die Frage, welche Maßnahmen Ostendorff und Spiering eigentlich damit finanzieren wollen? Denn allein mit einer „künstlichen“ Verteuerung der Fleischprodukte durch den Staat geht es noch keinem einzigen Schlachtvieh besser. Sollen kleinbäuerliche, ökologische Betriebe subventioniert werden? Soll es Steuererleichterungen für Großbetriebe geben, die ihren Tieren einen halben Quadratmeter mehr Standfläche gönnen? Soll es Bonuszahlungen für jedes nicht abgeschnittene Ferkelschwänzchen geben? Was auch immer hier vorgeschlagen wird, erfordert einen hohen zusätzlichen Bürokratieaufwand, welcher bei einer Veränderung gesetzlicher Standards nicht nötig wäre. Hier genügt das marktwirtschaftliche Ziel „Wettbewerb unter gleichen Mindestbedingungen“. Und für die Rahmenbedingungen samt Mindeststandards ist der Staat verantwortlich. Das ist im Grundsatz dieselbe Handhabung wie beim Mindestlohn, der als Mindeststandard im Dienste des Menschenwohls eingeführt wurde. So sollte man es auch mit den Tieren halten. Der Anspruch auf ein tierwürdiges Leben als Mindestlohn für die Lieferung ihrer geliebten Proteine. Das scheint mir ein vertretbarer Deal zu sein, so wie er viele Jahrtausende zwischen Mensch und Zuchtvieh bestand.

Fazit: Das Ziel einer ethisch vertretbaren Tierhaltung ist berechtigt. Der Weg dorthin ist aber keinesfalls so simpel, wie sich das Ostendorff und Spiering scheinbar vorstellen. Der Vorschlag der beiden agrarpolitischen Sprecher ist zu kurz gedacht und führt am Ende nur zu einem höheren Staatsanteil. Man wird nicht umhinkommen, die seit Jahrzenten in der Kritik stehende europäische Agrarpolitik, die auf die Subventionierung der industriellen Landwirtschaft gemünzt ist, zu reformieren. Und man wird das Problembewusstsein der Verbraucher steigern müssen sowie ihnen die Möglichkeit geben, sich langsam und freiwillig auf eine höhere Zahlungsbereitschaft für bessere Tierhaltung einzulassen. Ich halte die neue Kennzeichnung auf den Verpackungen, die dem Verbraucher nun selbst im Discounter ein abgestuftes Angebot für verschiedene Qualitätsstufen macht, für einen guten Anfang. Veränderung braucht Zeit. Und das gilt vor allem für stabile Demokratien.

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