Klimapolitik und der Wille des Volkes

Der angekündigt große Wurf ist das neue Klimapaket der Bundesregierung sicherlich nicht. Ein Träumer, der das erwartet hat. Doch stellt sich einmal mehr die Frage, warum der Wurf erwartungsgemäß viel kleiner ausgefallen ist, als von Experten empfohlen. Ich denke, dass letztendlich mehr dahintersteckt als nur der Unwille feiger, unfähiger oder gar korrupter Politiker.

Einverstanden, Profipolitiker, die darauf abzielen, möglichst viele Wählerstimmen zu bekommen – sei es nun aus demokratischer Überzeugung oder aus persönlichem Machthunger – vermeiden radikale Lösungsvorschläge. Das hat in mancher Hinsicht ja auch sein Gutes. Gewiss, im vorliegenden Fall mag Mutlosigkeit ein Grund dafür sein, dass zu wenig passiert. Aber ebenso kann es daran liegen, dass unsere Politiker zu herzlos und allzu vernunftgesteuert zur Sache gehen. Greta Thunberg hat jüngst in ihrer Rede während der UN Climate Action Summit gezeigt, was „beherzt“ heißt. Und das wirkt. Wenn ich hier von „zu viel Vernunft“ spreche, so bezieht sich das nicht direkt auf den Umgang mit der Klimaproblematik als vielmehr auf den Umgang mit dem politischen System. Auch Demokratien brauchen politische Führung durch Persönlichkeiten, die Überzeugungsarbeit leisten und sich nicht nur durch Umfragen von den Launen unvollständig informierter Wähler leiten lassen. Feigheit, Leidenschaftslosigkeit und Taktiererei spielen gewiss eine Rolle und verdienen Kritik. Doch sie sind keinesfalls die einzigen Faktoren, die den notwendigen Veränderungsprozess ausbremsen. Da machen wir es uns zu einfach. Mit dem Finger auf die Politik zu zeigen, ist einseitig und oft unreflektiert.

Der Auftrag der Politiker ist nicht eindeutig. Gegenüber stehen sich folgende Bedürfnisse der Bürger: Rettung des Klimas versus finanzielle Belastung, insbesondere sozial Schwächerer. Darüber hinaus konkurriert die Bewahrung von Handlungsfreiheiten gegenwärtiger versus zukünftiger Generationen. Zwar wird von allen Bürgern – ausgenommen derjenigen, die stumpf die Tragödie des Klimawandels leugnen – gefordert, man müsse alles tun, um die Erderwärmung zu stoppen. Doch kaum liegen erfolgversprechende Vorschläge auf dem Tisch, welche die persönlichen Finanzen und Handlungsfreiheiten der Bürger in der bisherigen Art notwendigerweise einschränken würden, hält man den Politikern „Abzocke“, „Verbotspolitik“ oder „verpuffende Alleingänge“ vor. Machen wir uns nichts vor. Ist das nicht nur ein hilfloses, bockiges Zappeln, weil die meisten Bürger einfach nur so weitermachen wollen wie bisher? Wäre wirklich eine große Mehrheit der Bevölkerung bereit, auch unter Opfern endlich eine wirksame Klimapolitik mitzutragen, dann würde das nicht am Unmut, der Leidenschaftslosigkeit und Taktiererei der bösen Politiker scheitern. Im Gegenteil: Gerade die Opportunisten unter ihnen würden sich gegenseitig übertrumpfen in Vorschlägen und Aktivitäten. Wir alle nutzen und stützen das klimaschädliche System und haben deshalb als Kollektiv bislang der Politik noch keinen klaren Auftrag erteilt, dieses System so zu modifizieren, dass auch nachkommende Generationen den schönen blauen Planeten noch genießen können.

Natürlich argumentieren die Umweltaktionisten jetzt, dass der Wille des Volkes durch Millionen Menschen, die unter dem Motto „Fridays for Future“ auf die Straße gegangen sind, klar bewiesen sei. Doch das ist reine Spekulation. Erstens stellen ein oder zwei Millionen deutscher Demonstranten noch lange keine Mehrheit eines 80-Millionenvolkes dar, sondern bestenfalls ein hohes Engagement einer großen Interessengruppe. Zweitens ist das Votum für das Klima noch lange kein Votum für unbequeme und finanziell belastende Maßnahmen. Wir wollen keine Windräder vor der Nase haben, aber dreimal im Jahr mit steuerfreiem Kerosin in den Urlaub fliegen oder die Welt auf schwerölbetriebenen Kreuzfahrtschiffen erkunden. Wir wollen die schönsten Flecken der Erde bereisen, aber nicht erhalten. Nach uns die Sintflut – im wahrsten Sinne des Wortes. Wir wollen zu jeder Jahreszeit sämtliches Obst- und Gemüse zu Billigpreisen erwerben, ganz zu schweigen vom übertriebenen Fleischkonsum, der großen Schaden für das Klima anrichtet. Mit überdimensionierten, schnellen Autos nicht mehr auf unseren Autobahnen rasen zu dürfen, ist für ganz viele deutsche Männer ebenso unvorstellbar wie für viele Frauen, dem modegetriebenen Kaufrausch zu widerstehen. Gleichzeitig klagen alle über zu hohe Strompreise. Und dann kommt auch noch die Wirtschaft und droht mit Arbeitsplatzverlust: Die internationale Wettbewerbsfähigkeit in energiedurstigen Branchen brauche günstigeren Strom. Und die Automobilbauer, die Braunkohleindustrie und die konventionelle Landwirtschaft beanspruchen sogar für sich „Artenschutz“, anstatt für den Erhalt des Ökosystems zu sorgen.

Natürlich reagieren vor dieser Kulisse Politiker, die gelernt haben, dass sie nur gewählt werden, wenn sie den Bürgern nicht auf die Füße treten, darauf mit flachen Ansagen wie: Wir stehen zu einer wirksamen Klimapolitik, aber sie darf unter dem Strich die Bürger nicht belasten und ihnen nicht vorschreiben, was sie tun dürfen, sondern sie muss „Angebote machen“. Die FDP versucht sogar die Gunst der Wähler zu gewinnen, indem sie neuerdings Freiheit mit Verbotslosigkeit verwechselt. Das ist ein Rückfall in die Westerwelle-Rössler-Rhetorik. Als wenn eine liberale, rechtsstaatliche, marktwirtschaftliche Demokratie ohne Verbote auskommen könnte. Allerdings kommt es darauf an, die richtigen Verbote auszusprechen. Das ist ein billiger Versuch, den Grünen, der derzeit einzigen Partei, die zu konsequenteren Maßnahmen bereit wäre, den schwarzen Peter zuzuschieben. Und mittlerweile wird sogar von erzkonservativen Politikern verkündet, Klimapolitik müsse und könne „Spaß“ machen. Hurra, wir retten die Welt! Doch kaum geht es ins Detail, einigen sich alle lieber darauf, bis zum Untergang kräftig weiter zu feiern und die schwierigen Entscheidungen in die Zukunft zu schieben. Hurra, erstmal feiern, die Welt können wir auch noch morgen retten! Und wir Bürger schlucken die Beruhigungspillen ja auch ganz gerne.

Machen wir uns doch nichts vor. In einer Welt, in der eine wachsende Bevölkerung mit wachsenden Konsumansprüchen die Ressourcen deutlich übernutzt, hilft nur eine radikale Einschränkung und Umorientierung der Lebensweise und der Technologien. Und da stehen wir als eines der Pionierländer wirtschaftlicher Entwicklung in besonderer Pflicht, auch wenn unsere alleinigen Anstrengungen das Problem nicht lösen können. Anstatt aber anderen Ländern vorzuhalten, sie würden nicht ausreichend für Klima- und Umwelterhalt sorgen, sollten wir erst einmal vor der eigenen Haustüre kehren. Natürlich sind in besonderem Maß und als erstes diejenigen Teile der Welt gefordert, die am stärksten über die Stränge schlagen. Deutschland gehört dazu. Die Veränderungen und Opfer werden weder national noch international gleichverteilt sein, weil das politisch nicht zu leisten ist. Doch deshalb einfach im Status quo zu erstarren, ist dumm und extrem unfair gegenüber allen nachkommenden Generationen. Einschneidende Maßnahmen zu verschieben – so wie es faktisch das aktuelle Klimapaket vorsieht – mit dem Argument, man müsse den Menschen Zeit geben, sich darauf einzustellen, hätte ich vor 20 Jahren gelten lassen. Heute ist dafür aufgrund der Tatenlosigkeit vergangener Jahre keine Zeit mehr.

Damals ließen sich keine Mehrheiten für eine Politik finden, die auf Problemvermeidung setzte. Eine solche vorausschauende Politik scheint unsere Demokratie grundsätzlich zu überfordern. Hierzu braucht es immer erst Not, Angst und Leid. Dann wird die Lösung eines Problems politisch eventuell belohnt, und erst dann passiert etwas. Probleme zu vermeiden, wird hingegen vom Wahlvolk niemals belohnt. In einer Demokratie entscheiden am Ende die Wähler. Und die haben sich bislang noch nicht mehrheitlich dazu bekannt, Einbußen – die zum Teil vielleicht nur zwischenzeitlich notwendig sind – in Kauf zu nehmen. Man kann nur hoffen, dass diese Einsicht im Volk, dem Souverän einer Demokratie, vor dem Zeitpunkt kommt, wo der Prozess irreversibel ist – vorausgesetzt wir haben ihn nicht schon verpasst.

 

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