Die Zeit zur Selbstanalyse ist abgelaufen

Die Wahl des bayrischen Landtags hat keine wirklichen Überraschungen hervorgebracht, obgleich ihr Ergebnis, verglichen mit vergangenen, erhebliche Verschiebungen nach links und rechts aufweist. Zu den Gewinnern gehören erwartungsgemäß die AfD und ebenfalls nicht ganz überraschend die Grünen. Beide haben, trotz oder gerade wegen ihrer gegensätzlichen Grundhaltungen gut 10 und knapp 9 Prozent dazu gewonnen. Auch die Freien Wähler bekamen ein gutes Stück vom Kuchen der CSU-Verluste ab. Und selbst die FDP hat es diesmal knapp über die 5-Prozent-Hürde geschafft.

Die eindeutigen Verlierer sind CSU und SPD, die beide jeweils über 10 Prozentpunkte abgeben mussten. Die Spatzen pfiffen diese Entwicklung schon lange von den Dächern. Die Wahlprognosen waren nicht weit entfernt von den endgültigen, allzu deutlichen Veränderungen. Doch jetzt, wo die kolossale Niederlage der so genannten Volksparteien nicht mehr zu leugnen ist, fallen den Verlierern wieder nur die alten langweiligen Floskeln ein, die den Wahlberechtigten endgültig zum Hals heraushängen dürften: „Man habe das Ergebnis jetzt genau zu analysieren.“

Begreifen die Politiker eigentlich, welchen weiteren Schaden sie mit diesen und ähnlichen Plattitüden anrichten? Haben sie noch immer nicht verstanden, was viele, sehr viele Bürger an diesem lächerlichen Schauspiel abstößt? Ich fürchte: Nein! Oder ist es ihnen vielleicht gleichgültig? Es ist doch im Grunde ganz einfach. Ein solches Ergebnis ist keine freundliche Einladung zur Selbstanalyse, sondern ein eindeutiger Hinweis darauf, dass die Führungspersönlichkeiten Vertrauen bei denjenigen verspielt haben, deren Auftrag sie benötigen. Und das kann man nicht mehr mit Selbstanalysen wieder gut machen. Jetzt muss man echte Konsequenzen liefern, zu denen ganz gewiss grundlegende Personalentscheidungen gehören. Der Zeitraum zur Selbstanalyse ist endgültig abgelaufen, zumal hier keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind.

Doch der mittlerweile schon peinliche Ehrgeiz unserer hohen Amtsträger, sich an ihren Stühlen krampfhaft festzuklammern, scheint größer denn je. Oder aber es fehlt in unserer politischen Kultur mittlerweile der Druck auf die trägen Amtsträger, ihren Platz rechtzeitig freizugeben und frischen Wind durch jungen Idealismus zu ermöglichen. Nur der kann uns vor Schlimmerem bewahren.

Das falsche Amtsverständnis spiegelt sich anschaulich auch in der aktuellen Misere der deutschen Fußballnationalmannschaft wider, die ebenfalls am letzten Wochenende ihren vorläufigen Höhepunkt erfuhr. Nur ein Rücktritt der Verantwortlichen kann einen wirklichen Neuanfang eröffnen. Doch anstatt sich demütig darauf zu besinnen, dass ihre Ära beendet ist, verweisen Löw und Bierhoff in ihrer Selbstherrlichkeit auf die Möglichkeit der Selbstregulierung auf der Basis einer intensiven Selbstanalyse. Am Ende ergab die wochenlange Selbstanalyse weder Neuerkenntnisse noch Konsequenzen für eine wirksame Strategieänderung. Das 0:3 gegen Holland war die Quittung. Schlimmer kann es eigentlich nicht mehr kommen. Doch noch immer wollen Trainer und Teammanager nicht wahrhaben, dass ihre Zeit abgelaufen ist.

Eine strikte Trennung von Personal und Programm, wie sie nicht nur die Trainer einfordern, sondern jetzt auch wieder die gebeutelten Volksparteien, ist ein weltfremder Wunschtraum der etablierten Amtsträger – ein letzter Versuch, ihren persönlichen Status zu retten. Nach dem Motte: Programme dürfen beliebig verändert werden, Hauptsache ich darf bleiben. Wer will solche Politiker schon gerne wählen? Dass gerade Bürger, die die Beharrlichkeit des DDR-Kaders noch vor Augen haben, darauf mit Enttäuschung, Protest und sogar Wut reagieren, wird langsam nachvollziehbar.

Die Führungseliten der Volksparteien tun alles, um ihre persönliche Macht   zu erhalten. Ihre vorgeschobenen Motive reichen von „Verantwortung übernehmen“ bis hin zu „Stabilität erhalten“ und sollen dem Wahlvolk Edelmut vortäuschen. Schuldeingeständnisse werden nur oberflächlich gemacht, um Demut vorzugaukeln. Meist beschränkt man sich auf Fehler in der Kommunikation: „Wir haben es nicht geschafft rüberzubringen, dass … .“ Doch hinter der Fassade verstecken sich Arroganz, Ignoranz und Machtgier. Und das spüren die Wähler sehr genau, auch wenn die meisten unter ihnen keinen argumentativen Hintergrund ihrer Gefühlswelt mitliefern können. Wer nach einer politischen Wahlschlappe oder auch nur nach einer verkorksten Spielserie im Fußball vor die Kamera tritt und der Öffentlichkeit erklärt, man müsse jetzt erst einmal alles in Ruhe analysieren, der versucht nur, Zeit zu gewinnen. Doch die Hoffnung, dass die Emotionen sich mit der Zeit wieder legen, dürfte langsam auch bei den Protagonisten schwinden.

Fazit: Selbstanalysen sind gut und wichtig im Leben. Doch sie können niemals ein Ersatz für die Bewertung durch andere sein. Das ist im Grunde der Kerngedanke unserer repräsentativen Demokratie, in der Volksvertreter auf Zeit gewählt werden und hochbezahlte Bundestrainer nach dem Leistungsprinzip beurteilt werden. Wer das Vertrauen des souveränen Volkes erwerben will, muss sich dessen Beurteilung stellen. Unsere Verfassung schreibt für solche Fälle keine Rücktritte vor. Sie sind freiwillig. Doch zu einer wehrhaften Demokratie gehören immer auch ethische Gebote, denen Amtsträger in ihrer Vorbildfunktion in besonderem Maße verpflichtet sind. Wir müssen uns zurückbesinnen auf einen ehrenhaften und demütigen Umgang mit Ämtern. Dazu gehören der Anstand und die Pflicht zurückzutreten, sobald man berechtigte Erwartungen enttäuscht. Das gilt insbesondere dann, wenn man mit seinem Latein am Ende ist. Und das trifft ganz offensichtlich auf einige Amtsträger zu und reicht von Seehofer und Nahles bis zu Merkel und Löw. Alles andere weicht den verbindenden Klebstoff unserer Gesellschaft weiter auf und führt uns in eine Gesellschaft, in der wieder das „Recht des Stärkeren“ zählt. Wie weit wir in diesem Prozess bereits vorangeschritten sind, mag jeder für sich beurteilen. Mir reicht schon das Schreckgespenst.

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